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Rojavas wirtschaftliche Vision III: Selbstversorgung


Die DAANES baut eine demokratische, ökologische Wirtschaft auf, die sich auf Genossenschaften und lokale Selbstverwaltung stützt. Ciwan Şikrî beschreibt bisherige Erfolge und wirtschaftliche Auswirkungen des Modells anhand von Praxisbeispielen.

Ciwan Şikrî im Interview
 
MANSUR ADALI / HESEKÊ, 18. Juli 2025.

Seit dem Beginn der Rojava-Revolution, die am 19. Juli 2012 in Kobanê begann und sich später auf die gesamte Region Nord- und Ostsyrien ausbreitete, wird vor Ort versucht, ein unverwechselbares Wirtschaftsmodell zu etablieren, das auf demokratischem Konföderalismus und einer ökologischen Gesellschaft basiert.

Dieses Wirtschaftssystem ist durch Genossenschaften organisiert und fußt auf lokaler Selbstverwaltung. Es zielt auf Harmonie mit der Natur ab und strebt danach, die Bedürfnisse der Bevölkerung der Region zu erfüllen und ihre soziale Solidarität zu stärken. Diesen Herausforderungen stellen sich die Menschen trotz Krieg, Embargo und anhaltender Instabilität.

Im dritten Teil unseres Berichts reflektiert Ciwan Şikrî, Ko-Vorsitzender des Genossenschaftsausschusses der Autonomen Verwaltung Nord- und Ostsyriens, über das auf Landwirtschaft und Viehzucht basierende Genossenschaftsmodell der Region und dessen Beitrag zur kommunalen Wirtschaft.


Die Rolle von Genossenschaften in der kommunalen Wirtschaft

Welche Produkte kann die Autonomieverwaltung Nord- und Ostsyriens selbstständig produzieren, ohne von externen Quellen abhängig zu sein?

Aufgrund ihrer ausgedehnten landwirtschaftlichen Flächen ist die Region Nord- und Ostsyrien in erster Linie auf die Landwirtschaft als wirtschaftliche Kernaktivität angewiesen. Es gibt eine Fülle von landwirtschaftlichen Produkten. Landwirtschaft und Viehzucht sind nach wie vor die grundlegendsten Ressourcen, die uns zur Verfügung stehen, und Genossenschaften, die auf dieser Grundlage aufgebaut sind, haben sich als erfolgreich erwiesen.

Unsere Gesellschaft ist eine Agrargesellschaft. Die gemeinsame Bewirtschaftung des Landes war schon immer Teil der „Natur“ der Menschen. Deshalb gibt es eine starke landwirtschaftliche Grundlage. Siebzig Prozent unserer Wirtschaft hängen von ihr ab. Trotz der langjährigen Kriege in der Region wird die Produktion in diesem Bereich fortgesetzt. Dies ist ein Erbe, und als Selbstverwaltung haben wir unser Bestes getan, um es zu bewahren. Dieses Erbe ermöglicht die Schaffung einer kommunalen Wirtschaft, die in der Landwirtschaft und Viehzucht verwurzelt ist.

Verarbeitende Genossenschaften sollen aufgebaut werden

Auf dieser Grundlage wurden unsere Genossenschaften gegründet. Die überwiegende Mehrheit unserer Genossenschaften konzentriert sich also auf Landwirtschaft und Viehzucht. Genossenschaften müssen innerhalb der Grenzen der verfügbaren Ressourcen funktionieren und darauf abzielen, dass sowohl die Genossenschaft als auch die Gesellschaft wirtschaftlich davon profitieren. In der Vergangenheit war dies nicht der Fall. Unter der Herrschaft des Baath-Regimes wurden landwirtschaftliche Produkte als Rohstoffe genommen und ausschließlich vom Regime selbst verwendet.

Einerseits bemühen wir uns um eine Verbesserung der landwirtschaftlichen Produktion. Andererseits arbeiten wir daran, Anlagen zu entwickeln, in denen diese Produkte industriell verarbeitet werden können. Auch in diesem Bereich werden derzeit Genossenschaften gegründet. Letztendlich geschieht dies, um sicherzustellen, dass die Gesellschaft nicht von externen Quellen abhängig ist. In Bezug auf Lebensmittel, Kleidung und andere lebensnotwendige Güter wird dies als eine Form der Selbstverteidigung angesehen.

Beispielsweise ist Baumwolle eine der wichtigsten Anbaupflanzen der Region. Wir verfügen nun über Fabriken, die Baumwolle zu Unter- und Oberbekleidung verarbeiten können. Auch bei den Bulgur-Verarbeitungsfabriken haben wir Fortschritte erzielt. Ebenso wurden Molkereien gegründet, um Produkte aus der Viehzucht zu verarbeiten. Wir bemühen uns, unsere Fabrikinfrastruktur weiter auszubauen.

Wirtschaft als Aufgabe der gesamten Gesellschaft

Dieser Prozess zeigt nicht nur den Erfolg der Genossenschaften, sondern bringt auch greifbare Vorteile für die Öffentlichkeit durch niedrigere Preise. Wir arbeiten daran, die Lücken bei wichtigen Produkten wie Bulgur, Nudeln und Konserven zu schließen. Unser Hauptziel ist eine kommunale Wirtschaft, eine Wirtschaft, von der die Menschen direkt profitieren. Dies erreichen wir durch das Genossenschaftssystem.

Um solche Genossenschaften zu entwickeln, ist Förderung unerlässlich. Diese Aufgabe kann nicht allein von der Selbstverwaltung, dem Genossenschaftskomitee oder der Wirtschaftsversammlung bewältigt werden. Wir versuchen, die von uns entwickelten Beispielprojekte einer breiteren Öffentlichkeit vorzustellen und den Menschen zu ermöglichen, von diesen Erfahrungen zu profitieren. Eine Wirtschaft kann ohne die Beteiligung der Menschen nicht wachsen. Deshalb setzen wir uns für die Stärkung dieses Modells ein.

Der Beitrag der Genossenschaften zur Wirtschaft

Welchen Beitrag leisten diese Genossenschaften zur Volkswirtschaft? Auf welche Sektoren konzentrieren sie sich in erster Linie, und wie profitiert die Öffentlichkeit davon?

Aufgrund des agrarwirtschaftlichen Schwerpunkts profitieren nicht nur die Genossenschaftsmitglieder, sondern die Gesellschaft als Ganzes. Die wirtschaftliche Entwicklung kann nicht auf diejenigen beschränkt sein, die direkt an den Genossenschaften beteiligt sind. Die zweite wesentliche Säule ist, wie die Gesellschaft insgesamt von ihnen profitiert. Letztendlich werden die Menschen dazu ermutigt, Genossenschaften zu gründen und sich daran zu beteiligen.

Wie können wir diese Auswirkungen verstehen? Durch einen Vergleich der Situation vor und nach der Gründung von Genossenschaften. Beispielsweise sind heute ein Großteil unserer Bäckereien als Genossenschaften organisiert. Diese Bäckereien befinden sich im Besitz der dort beschäftigten Arbeitnehmer:innen. Die erzeugten Produkte und Gewinne werden systematisch auf der Grundlage festgelegter Vorschriften verteilt. So kann eine Bäckereigenossenschaft beispielsweise 70 Prozent ihrer Gewinne an ihre Mitglieder ausschütten.

Alltagsrelevante Qualitäts- und Quantitätssteigerung

Viele der früheren Probleme wurden gelöst. Die Vielfalt und Qualität des Brotes hat sich merkbar verbessert. In der Vergangenheit gab es Beschwerden aus der Bevölkerung, und die Genossenschaften trugen zur Lösung dieser Probleme bei. Es gibt nun einen deutlichen Unterschied zwischen dem Brot, das vor und nach der Einführung des Genossenschaftssystems hergestellt wurde. Das heutige Brot ist schmackhafter und wird unter hygienischeren Bedingungen hergestellt. Das ist eine konkrete Auswirkung.

Darüber hinaus sind im Viehzuchtsektor Genossenschaften entstanden, die sich auf Geflügel spezialisiert haben. In der Vergangenheit musste gefrorenes Fleisch von außerhalb der Region importiert werden. Über 200 Geflügelfarmen wurden aufgrund des Krieges geschlossen. Unter den aktuellen Bedingungen reicht das lokal produzierte Geflügel nun jedoch für die Region mehr als aus. Man kann sagen, dass die Landwirtschaft ein vielversprechendes Entwicklungsniveau erreicht hat.

Auswirkungen auf den Markt und die Preisgestaltung

Können wir in diesem Fall sagen, dass die Preise gesunken sind und die Kaufkraft der Bevölkerung gestiegen ist?

Genau das ist unser Ziel. Aufgrund des anhaltenden Embargos und der Belagerung können wir unsere Überschussprodukte nicht exportieren. Wäre dies möglich, würde sich die Situation erheblich verbessern. Sollte die politische Frage der Anerkennung und des Status gelöst werden und wir Zugang zu externen Märkten erhalten, wäre ein größeres Wirtschaftswachstum und eine Erneuerung möglich. Obwohl wir immer noch einige Waren importieren müssen, liegt unsere primäre Lösung in der kooperativen Entwicklung. Wie bereits erwähnt, sind Landwirtschaft und Viehzucht unsere Grundlage, das sind die Ressourcen, die uns zur Verfügung stehen.

Alle Genossenschaften sind miteinander verbunden. In der Vergangenheit mussten wir viele Dinge importieren, darunter auch Eier. Dies war mit hohen Kosten verbunden, was sich wiederum auf die Preise für Fleisch und Geflügel auswirkte. Heute sind diese Genossenschaften so strukturiert, dass sie miteinander verbundene Kreise bilden. Infolgedessen ist Hühnerfleisch heute weit verbreitet und kann zu sehr erschwinglichen Preisen gekauft werden. Noch vor wenigen Jahren war dies nicht der Fall.

Gemüseanbau und saisonale Herausforderungen

Wie ist die aktuelle Situation beim Gemüseanbau?

Der Gemüseanbau in der Region ist durch saisonale Bedingungen begrenzt. Die Aussaat von Gemüsesämlingen beginnt etwa im vierten Monat des Jahres, und die Ernte beginnt in der Regel Mitte Juni. Nach einer bestimmten Zeit wird die Produktion jedoch unterbrochen. Im Herbst ändern sich die Wetterbedingungen und die Erträge gehen deutlich zurück. Derzeit ist die Alternative zu dieser saisonalen Lücke die Produktion in Gewächshäusern aus Biokunststoff, die ebenfalls im Rahmen von Genossenschaftsstrukturen organisiert wurde. Diese Gewächshäuser wurden entwickelt, um die Lücke in den Herbst- und Wintermonaten zu schließen, und man kann sagen, dass sie einen angemessenen Erfolg erzielt haben.

Diese Art der Produktion bringt jedoch auch gewisse Herausforderungen mit sich. So werden beispielsweise die verwendeten Samen importiert, und die Pflege der Pflanzen ist recht schwierig. Es muss eine kontrollierte Atmosphäre geschaffen werden. Gebiete wie Rimêlan eignen sich besser für diese Art der Produktion und dienen als Referenzpunkte, obwohl Anstrengungen unternommen werden, sie auch auf andere Gebiete auszuweiten. Der saisonale Mangel an Gemüse wird durch diese Methode behoben. Die Gemüseproduktion in Gewächshäusern aus Biokunststoff ist ein praktischer Schritt, um den Bedarf der Region zu decken, wenn die Vegetationsperiode zu Ende geht.

Der Einfluss von Genossenschaften auf den Markt

Wie wirkt sich dies auf den Markt aus?

Unser primäres Ziel ist es, einen direkten Einfluss auf den Markt zu nehmen. Wir wollen den grundlegenden Konsumbedarf der Gesellschaft zu erschwinglichen Preisen decken, ohne auf externe Quellen angewiesen zu sein. Das von uns verfolgte Genossenschaftsmodell steht im Gegensatz zu den gewinnorientierten Prinzipien des kapitalistischen Systems. Wir lehnen beispielsweise Praktiken ab, bei denen die Preise erhöht werden, wenn ein Produkt knapp wird, oder der Markt mit Produkten überschwemmt wird, um bei hohem Angebot den Gewinn zu maximieren. Was der Öffentlichkeit wirklich Erleichterung verschafft, ist genau dieser Unterschied in der Herangehensweise.

Der Prozess der Gründung einer Genossenschaft

Wie sieht das Verfahren aus, wenn eine Gruppe eine Genossenschaft gründen möchte? Wie läuft der Prozess ab?

Es gibt zwei Haupttypen von Genossenschaften. Der erste Typ wird finanziell von der Verwaltung unterstützt. Im Falle einer landwirtschaftlichen Genossenschaft kann beispielsweise Land von der Verwaltung zugewiesen werden, und auf dieser Grundlage wird eine Vereinbarung getroffen. Der größte Teil des Gewinns verbleibt bei den Mitgliedern der Genossenschaft.

Darüber hinaus gibt es verschiedene Förderfonds. So gibt es beispielsweise einen Fonds, der speziell für landwirtschaftliche Maschinen eingerichtet wurde. Zehn Prozent der Einnahmen der Genossenschaft werden in diesen Fonds eingezahlt, um die Entwicklung und Erneuerung von Geräten zu unterstützen. Wenn eine Genossenschaft einen Traktor, der seit zwei oder drei Jahren im Einsatz ist, durch einen besseren ersetzen möchte, kann dies über die angesammelten Mittel des Fonds erfolgen. Dieser Mechanismus ist für die Nachhaltigkeit des Systems von entscheidender Bedeutung. Diese Art von Genossenschaft wird von der Verwaltung finanziell unterstützt.

Privat finanzierte Genossenschaften

Bei der zweiten Art nutzen die Genossenschaftsmitglieder ihr eigenes Kapital, um ein Projekt zu entwickeln. Sie organisieren sich ausschließlich innerhalb des Genossenschaftssystems. Das Projekt wird in schriftlicher Form eingereicht. Unsere Arbeit an diesem Modell ist noch nicht abgeschlossen, aber das Ziel ist es, Genossenschaften auf der Grundlage von Projektvorschlägen aus den Gemeinden zu entwickeln.

Die von den Gemeinden vorgeschlagenen Projekte werden von Ausschüssen bewertet, die unter dem Wirtschafts- und Agrarrat von Nord- und Ostsyrien eingerichtet wurden. Bei dieser Bewertung werden die besonderen Merkmale jedes Kantons und jeder Gemeinde berücksichtigt. Im Projekt muss klar angegeben werden, ob das Kapital von den Antragstellern selbst bereitgestellt wird oder ob Unterstützung durch die Verwaltung beantragt wird. Genossenschaften können auf beide Arten gegründet werden.

Wenn beispielsweise drei bis fünf Personen eine Genossenschaft gründen möchten, müssen sie ein schriftliches Projekt bei ihrem jeweiligen Kanton oder Stadtrat einreichen. Wird der Vorschlag genehmigt, wird eine formelle Vereinbarung getroffen.

Temporäre und langfristige Kooperativen

Es gibt auch temporäre Genossenschaften, die aufgelöst werden, sobald ihre Ziele erreicht sind. Im Gegensatz dazu gibt es langfristige Genossenschaften, beispielsweise solche, die um eine fabrikähnliche Produktion herum strukturiert sind. Die Vorschriften legen die Rechte und rechtlichen Rahmenbedingungen für Genossenschaftsmitglieder sowie die Funktionsweise der Fördermittel klar fest.

All diese Informationen werden allen Genossenschaftsmitgliedern transparent mitgeteilt. In regelmäßigen Sitzungen diskutieren die Mitglieder offen darüber, was verkauft wurde, wie viel Einkommen erzielt wurde, welche Fehler oder Mängel aufgetreten sind und andere relevante Themen. Außerdem finden jährliche Versammlungen statt, um den Fortschritt und die Ausrichtung der geleisteten Arbeit zu bewerten.

Die Transformation des sozialen Bewusstseins

Wir setzen unsere Bemühungen zur Entwicklung dieses Systems fort, indem wir an einer mentalen und ideologischen Transformation arbeiten. Eine unserer größten Herausforderungen ist es, den Einfluss vergangener gescheiterter Modelle zu überwinden, die noch immer im kollektiven Gedächtnis der Gesellschaft nachwirken. Oft hört man: „Viele von Wohlfahrtsstaaten entwickelte Genossenschaftssysteme sind gescheitert.“ Als Antwort darauf versuchen wir, der Gesellschaft den Unterschied und das Potenzial unseres eigenen Modells verständlich zu machen. Wenn praktische Ergebnisse sichtbar werden, wächst das Vertrauen, und mit dem Vertrauen kommt auch eine größere Beteiligung.

 

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