Frauenrechte statt Handschlag-Debatte
Beim Staatsbesuch von Außenministerin Annalena Baerbock und ihrem französischen Kollegen Jean-Noël Barrot in Syrien lag die mediale Aufmerksamkeit auf dem fehlenden Handschlag – statt auf der Zukunft Syriens. Unsere Partnerinnen fordern, die entscheidenden Themen zu Frauenrechten endlich ins Zentrum zu rücken.
Über die Diskussionen rund um die Begrüßung der deutschen Außenministerin durch Machthaber Ahmed Al-Schara kann Wajiha Hajjar nur den Kopf schütteln. Wichtiger als der Handschlag ist für die Aktivistin und Anwältin, was bei dem Staatsbesuch besprochen wurde: „Wenn euch die Rechte der Frauen in Syrien wirklich am Herzen liegen, sorgt für eine Verfassung, die ihre Rechte und Freiheiten garantiert.” Diese müsse sich an der Internationalen Charta der Menschenrechte orientieren und die Sicherheit aller Bevölkerungsgruppen gewährleisten.
Hajjar lebt in Suweida. Einer Provinz in Südsyrien, die noch im November 2024 von Assad-Kräften kontrolliert wurde. Sie beteiligte sich an Anti-Regimeprotesten und hat konkrete Forderungen an die Bundesregierung: Diese und die Europäische Union sollen der Situation in Syrien nun besondere Aufmerksamkeit schenken und sich klar an die Seite des syrischen Volkes stellen, um Verbrechen wie unter der Assad-Herrschaft zu verhindern: „Üben Sie Druck auf Russland und die Vereinigten Arabischen Emirate aus, damit Kriegsverbrecher ausgeliefert und zur Rechenschaft gezogen werden.“
Auch der Wiederaufbau des Landes ist ihr ein zentrales Anliegen: „Das Ausmaß der Zerstörung ist immens. Syrien braucht die intensive Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, um wiederaufzustehen.“
Enttäuschung über einseitige Treffen beim Staatsbesuch
Safa Kamel, Leiterin der Fraueninitiative KLYA und selbst mehrfach Binnenvertriebene, zeigt sich enttäuscht über den Staatsbesuch der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock und ihres französischen Amtskollegen Jean-Noël Barrot in Syrien. Kamel kritisiert die fehlende Aufmerksamkeit für die Belange syrischer Frauen. „Die wenigen Besuche ignorieren die vielen syrischen Frauen, die gelitten, Opfer gebracht und Vertreibung erfahren haben“, bemängelt die Frauenrechtsaktivistin. „Es gab weder einen Besuch der deutschen Außenministerin in den Flüchtlingscamps noch Treffen mit Überlebenden von Folter und Haft.“
Kamel fordert die deutsche Bundesregierung eindringlich auf, den Fokus stärker auf die drängendsten Probleme zu legen. Ihr Appell: „Wenn Sie sich wirklich für die Rechte der Frauen in Syrien einsetzen wollen, besuchen Sie die vertriebenen Frauen in den Camps im Norden Syriens. Sprechen Sie mit Überlebenden unmenschlicher Haft und Folter, insbesondere mit jenen, die Opfer sexueller Gewalt und psychischer Misshandlung wurden. Diese Frauen und ihre Forderungen müssen im Mittelpunkt stehen.“
Bedingte Hilfe blockiert das Potenzial der Zivilgesellschaft
Auch für Souad Al-Aswad, Leiterin der Fraueninitiative Change Makers, war der Besuch der deutschen Ministerin eine Enttäuschung: „Wir brauchen in der aktuellen Situation keine Unterstützung, die an Bedingungen geknüpft ist, sondern die Aufhebung der Sanktionen gegen Syrien.“ Die Aktivistin aus Idlib verweist auf die verheerenden Zustände im Land: „Wir leben in einem zerstörten Syrien und Frau Baerbock hat diese Zerstörung mit ihren eigenen Augen gesehen. Es gibt keine funktionierende Infrastruktur, keine grundlegenden Dienstleistungen. Wenn die Sanktionen weiterhin bestehen bleiben und zusätzlicher Druck ausgeübt wird, verschärft sich unsere Situation weiter.“
Besonders mahnt die Frauenrechtlerin an, dass die Unterstützung für Syrien nicht von der aktuellen Übergangsregierung abhängig sein dürfe: „Wenn ihr euch wirklich für die Rechte der Frauen in Syrien interessiert, dann stärkt die Zivilgesellschaft. In Idlib hat sich gezeigt, was möglich ist, wenn die Zivilgesellschaft aktiv wird. Die Region hat sich trotz aller Herausforderungen entwickelt – nicht dank der Regierung von Ahmed Al-Schara, sondern durch das Engagement der Menschen vor Ort.“ Damit sei Idlib ein kleines, aber eindrückliches Beispiel für das Potenzial der Zivilgesellschaft. „Wir hoffen, dass sich Syrien noch viel mehr entwickeln kann – weit über das hinaus, was in Idlib erreicht wurde. Es liegt an der internationalen Gemeinschaft, diese Entwicklungen zu unterstützen, ohne sie an politische Bedingungen zu knüpfen.“
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