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Südkurdistan: Binarê Qendîl – Selbstverwaltung jenseits von Herrschaft


Die südkurdische Berggemeinde Binarê Qendîl ist ein Modell der radikaldemokratischen Selbstverwaltung. Das kommunale Leben wird auf allen Ebenen durch Räte organisiert, Probleme werden durch die Gesellschaft gelöst.

Die südkurdische Berggemeinde Binarê Qendil ist bekannt für ihre Schönheit und die Erhabenheit ihrer Natur. Die Landschaft ist von gewaltigen Bergmassiven, verschlungenen Pfaden, grünen Wäldern und fruchtbaren Almen geprägt. Die Region mit ihren 63 Dörfern organisiert sich seit Jahren nach dem Modell der demokratischen Autonomie und den Grundprinzipien des geschlechterbefreiten Paradigmas der kurdischen Freiheitsbewegung. Binarê Qendîl besteht aus fünf Regionen: Navdeşt, Dola Şaroş, Qelatûkan, Maradu und Dola Baleyan.

Eine Insel der demokratischen Autonomie

Die Gemeinde ist von den Herrschaftsstrukturen des Iraks und Südkurdistans abgekoppelt und organisiert alles auf kommunaler Ebene. Die autarke Wirtschaft wird durch kollektive Produktion getragen. Dabei verfolgen die Menschen keinen lohn- oder profitbasierten Ansatz, sondern organisieren auf kommunale Weise eine Bedürfniswirtschaft. Das bedeutet, es wird das produziert, was die Menschen brauchen. Jegliche Probleme werden von Räten gelöst. Die Selbstverwaltung von Binarê Qendîl setzt sich aus dem Rathaus, dem Rat, den Frauenorganisationen und den Jugendorganisationen zusammen.

Aufbau einer demokratischen Gesellschaft

Die Institutionen der Selbstverwaltung stellen Problemlösungen in den Mittelpunkt und orientieren sich an den Bedürfnissen der Bevölkerung. In den Dörfern wurden Schulen, Gebetsstätten, die alle Religionen respektieren, und Straßen gebaut. Probleme mit der Heiz-, Strom- und Wasserversorgung werden von den entsprechenden Institutionen der Selbstorganisierung gelöst, die Grundversorgung der Bevölkerung wird sichergestellt. In Binarê Qendil werden die Produkte aus der Landwirtschaft in kollektiver Arbeit geerntet und auf kommunale Weise verteilt. Vertreter:innen der Räte sind ständig unterwegs und besuchen die Menschen, um die Probleme der Bevölkerung erfassen und Lösungsansätze entwickeln zu können.

Binarê Qendil verfügt über Spielplätze für Kinder, Sportkomplexe für Jugendliche und Werkstätten für Frauen. Im Gegensatz zum Irak und Südkurdistan, wo das Strom- und Infrastrukturproblem seit Jahren nicht gelöst werden konnte, ist es in Binarê Qendil gelöst.

Das System des Ko-Vorsitzes

Alle Rätestrukturen, der Volksrat von Binarê Qendîl eingeschlossen, arbeiten nach dem Prinzip der genderparitätischen Doppelspitze. Demzufolge müssen jeder gemischten Struktur ein Mann und eine Frau vorstehen. Der Volksrat von Binarê Qendîl besteht aus 100 Vertreter:innen der Dorfräte. Alle zwei Jahre werden sowohl die Leitungskommission als auch Ko-Vorsitzende gewählt.

Kommissionen organisieren das Leben

Die amtierenden Ko-Vorsitzenden des Volksrats von Binarê Qendîl sind Resûl Hesen und Şinyar Resûl. Über die Arbeit des Rates und angegliederter Kommissionen sowie zur Bedeutung der alle zwei Jahre stattfindenden Konferenz für die Wahl der Leitungsgremien erklärt Hesen: „In den Vorstand werden fünfundzwanzig Personen gewählt. Sie werden dann in Kommissionen für Versöhnung, Ökonomie, Soziales und Entwicklung, Umweltschutz, Kommunikation und die Vorstandskommission berufen. Wir wollen den Bewohner:innen von Binarê Qendîlê einen guten Dienst leisten.“

Zehn der Vorstandsmitglieder sind Frauen. „Sie spielen im Rat eine führende Rolle bei der Lösung sozialer Probleme und dem Schutz der Umwelt“, erklärt Şinyar Resûl. „Binarê Qendîlê ist einer der Orte in Kurdistan, in dem es am wenigsten Tötungs- oder Gewaltdelikte gibt. Die Frauen der Gemeinde sind in alle Entscheidungsfragen einbezogen und haben wichtige Fortschritte erreicht.“

Der Volksrat von Binarê Qendîl

Die erste Konferenz des Volksrats von Binarê Qendîl fand am 23. Dezember 2017 im Dorf Enzê statt. In dem dort beschlossenen Statut heißt es: „Der Volksrat ist eine Institution der Gesellschaft, die sich für die Verbesserung der Lebensbedingungen der Einwohner:innen der Region, den Dienst an ihnen und für die Schaffung sozialen Friedens einsetzt. Der Rat setzt sich für die gerechte Lösung von Problemen, den Schutz der Lebensräume und die Entwicklung regionaler Produkte ein. Er basiert auf einer harmonischen Zusammenarbeit mit anderen Institutionen der Gesellschaft zum Wohle der Menschen.“

Die Frauenversammlung von Binarê Qendîl

Die Grundsätze des Rates sind folgende:

* Er basiert auf kommunaler und ehrenamtlicher Arbeit.

* Bei der Lösung von Problemen verhält er sich demokratisch und gerecht und macht den Willen der Bevölkerung zu seiner Grundlage.

* Er misst den Werten des Volkes Bedeutung bei und schützt diese.

* Der Rat stellt sich gegen jede Art von Umweltzerstörung und misst dem Umweltschutz größte Bedeutung bei.

* Die Rolle von Frauen und jungen Menschen in der Leitung von Räten, Vorständen und Kommissionen ist von zentraler Bedeutung.

* Alle Dörfer innerhalb der Grenzen der vom Volksrat verwalteten Region bilden ebenfalls Räte und Kommunen. Vertreter:innen der Dörfer nehmen an den Versammlungen und Konferenzen des allgemeinen Volksrats teil.

* Der Volksrat übernimmt Verantwortung für gesellschaftliche Probleme, Landfragen etc. Durch die Versöhnungs- und Friedenskommission arbeitet er an der Lösung von Problemen.

* Der Rat hilft beim Aufbau der Dörfer.

* Der Rat stellt sich gegen Angriffe und Bombardierungen.

* Jede/r Bürger:in, ob Mann oder Frau, welche/r politischen Position auch immer, hat das aktive und passive Wahlrecht für alle Organe des Rates.

* Der Rat organisiert Sitzungen, Seminare und Bildungen zu Themen wie Freiheit, Demokratie, Progressivität, Bewusstsein und Gesamtheit der Prinzipien.

* Die Wahlen zum Ko-Vorsitz finden alle zwei Jahre statt. Die Ko-Vorsitzenden müssen ein Mann und eine Frau sein. Die für den Ko-Vorsitz des Rates gewählten Personen müssen die Stimmen von zwei Dritteln der Mitglieder der Konferenz erhalten.

Die Aufgaben und Verantwortungsbereiche der Kommission

Die Friedenskommission arbeitet an der gerechten Lösung aller gesellschaftlichen Probleme in der Region und orientiert sich an den Gesetzen. Bei der Lösung von Problemen wird erst eine endgültige Entscheidung getroffen, nachdem die Zustimmung auf beiden Seiten eingeholt wurde. Es wird untersucht, ob bei jeder getroffenen Entscheidung eine allgemeine Zustimmung besteht.

Die Ökologiekommission dient der Gesellschaft und setzt sich zusammen mit der Verwaltung und den Umweltorganisationen für eine gesunde Umwelt ein. Sie trägt zur Begrünung der Region bei, indem sie Setzlinge in den Gebieten pflanzt, in denen diese benötigt werden. Die Kommission arbeitet auch daran, Wasserressourcen und Wildvögel zu schützen.

Das Hauptziel der Ökonomiekommission ist es, die Selbstversorgung der Gesellschaft zu garantieren. Kommunale Arbeit steht dabei im Zentrum. Die Produkte dienen der Gesellschaft.

In der Kommunikationskommission arbeiten Einzelpersonen und gesellschaftliche Organisationen koordiniert. Das Gremium für die Kommunikation bestimmter Ereignisse und die Archivierung von Akten und Dossiers verantwortlich.

 

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