Die DEM-Vorsitzende Hatimoğulları warnt vor Rückschritten im Friedensprozess
Die DEM-Vorsitzende Tülay Hatimoğulları ruft zu konkreten Reformen im Friedensprozess auf und warnt: Verzögerungen stärken die Kriegsbefürworter. Sie fordert Freilassungen, kritisiert das Justizpaket und lehnt das neue Auslandseinsatzmandat klar ab.
Die Ko-Vorsitzende der Partei der Völker für Gleichheit und Demokratie (DEM), Tülay Hatimoğulları, hat in ihrer wöchentlichen Rede vor der Fraktion im türkischen Parlament eine Wiederbelebung des Friedensprozesses gefordert. Verzögerungen im politischen Dialog stärkten laut Hatimoğulları jene Kräfte, die auf Eskalation und Konfrontation setzen.
Kritik an fortgesetzter Haft von Demirtaş und Yüksekdağ
Zu Beginn ihrer Rede erinnerte Hatimoğulları an den kurdischen Dichter Cegerxwîn, der am 22. Oktober 1984 starb. Dessen „revolutionäre Haltung“ lebe in der kollektiven Erinnerung fort, sagte sie.
Am Wochenende hatte Hatimoğulları gemeinsam mit dem Ko-Vorsitzenden Tuncer Bakırhan die ehemaligen HDP-Spitzen Figen Yüksekdağ und Selahattin Demirtaş im Gefängnis besucht. In diesem Zusammenhang verwies die DEM-Politikerin auf mehrere Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), in denen jeweils Rechtsverstöße gegen Demirtaş festgestellt wurden.
„Ein dauerhafter Frieden kann nicht einseitig errichtet werden“, so Hatimoğulları. „Die Regierung muss endlich konkrete, rechtlich bindende Schritte setzen.“ Die inhaftierten Angeklagten im sogenannten Kobanê-Verfahren müssten „unverzüglich freigelassen werden“.
Historische Gelegenheit für demokratische Erneuerung
Mit Blick auf die Entwicklungen der vergangenen Monate hinsichtlich einer möglichen Lösung der kurdischen Frage sprach Hatimoğulları von einer „historischen Chance“, einen über Jahrzehnte andauernden Konflikt zu beenden. „Es geht um nichts Geringeres als die Lösung eines 100-jährigen Problems und das Ende von 50 Jahren Krieg und Gewalt.“
Die Türkei stehe an einem Wendepunkt. Der Friedensprozess könne nicht nur die politische Krise entschärfen, sondern auch einen Weg aus wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Instabilität weisen. „Demokratische Reformen sind kein Zugeständnis – sie sind überfällig“, betonte sie.
Fehlende Beteiligung von Regierung und Opposition
Hatimoğulları kritisierte, dass neben der DEM-Partei kaum politische Akteure aktiv für eine gesellschaftliche Verankerung des Friedensprozesses eintreten. „Von Regierung wie Opposition hören wir kaum konkrete Vorschläge, keine Gesetzesinitiativen, keine öffentlichen Signale“, sagte sie. Das müsse sich ändern.
Sie forderte die rasche Umsetzung gesetzlicher Rahmenbedingungen – etwa im Vorfeld der Haushaltsberatungen 2026 – sowie einen strukturierten Übergangsprozess mit umfassenden Reformen. „Vertrauensbildende Maßnahmen müssen dringend folgen“, erklärte sie. Besonders Frauen und junge Menschen sollten als tragende Kräfte eines demokratischen Wandels eingebunden werden.
Streit um kurdische Sprache
Kritisch äußerte sich Hatimoğulları zu den Reaktionen auf einen kurdischsprachigen Beitrag des türkischen Parlaments in sozialen Medien – veröffentlicht anlässlich eines Besuchs von Parlamentspräsident Numan Kurtulmuş in Amed (tr. Diyarbakır). „Hat es der türkischen Sprache geschadet? Wurde das Land dadurch gespalten? Nein – im Gegenteil“, sagte sie. „Wer Sprachenvielfalt zulässt, stärkt den gesellschaftlichen Zusammenhalt.“
„Sanktionen statt Lösungen“ – Kritik am 11. Justizpaket
Deutliche Kritik äußerte Hatimoğulları auch am Entwurf für das sogenannte 11. Justizreformpaket. Dieses beinhalte keine Maßnahmen zur Stärkung von Rechtssicherheit oder demokratischer Standards, sondern diene vor allem der Kontrolle und Repression.
„Wieder einmal erleben wir ein Manöver, das die gesellschaftliche Spannung bewusst erhöht, um später kosmetische Korrekturen als Reformen zu verkaufen“, so Hatimoğulları. Der Entwurf greife zudem in persönliche Lebensbereiche ein, etwa bei sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität. „Es ist nicht Aufgabe des Staates, Menschen ihre Identität vorzuschreiben“, sagte sie.
Die Regierung lenke von drängenden Themen wie Inflation, Arbeitslosigkeit und Vertrauensverlust in die Justiz ab, indem sie auf gesellschaftspolitische Spaltung setze. „Das löst keine Probleme – es schafft neue“, sagte sie.
Ablehnung der Irak-Syrien-Libanon-Mandate
Zur anstehenden Parlamentsabstimmung über die Verlängerung der Mandate für Militäreinsätze in Syrien, Irak und im Libanon erklärte Hatimoğulları die klare Ablehnung ihrer Fraktion. Erstmals solle das Mandat für drei Jahre gelten – ein Schritt, den die DEM-Partei ablehnt. „Ein Frieden mit vorgehaltener Waffe ist kein Frieden“, sagte sie. Die grenzüberschreitenden Mandate erhöhten nicht die Sicherheit, sondern verstärkten Spannungen. Sie rief alle Oppositionsparteien auf, dem Antrag nicht zuzustimmen.
Appell für eine Demokratische Republik
Zum Abschluss unterstrich Hatimoğulları das Ziel ihrer Partei: die Errichtung einer „Demokratischen Republik“, in der alle Bürgerinnen und Bürger gleichberechtigt leben können – unabhängig von Ethnie, Religion oder Weltanschauung. „Wer auf Provokation setzt, wird an unserem Engagement für eine gerechte und friedliche Zukunft scheitern“, sagte sie. „Wir werden diesen Weg weitergehen – entschlossen, unabhängig von den Kosten.“
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