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Rojavas wirtschaftliche Vision II: Förderung der Sozialwirtschaft

 


Eine demokratische Ökonomie, die die Bedürfnisse der Menschen erfüllt, wird in Rojava durch den Aufbau von Kooperativen angestrebt. Mihemed Sabri spricht über die Vielfalt der regionalen Einrichtungen in der Sozialwirtschaft und notwendige Subventionen.

Mihemed Sabri im Interview
 
MANSUR ADALI / HESEKÊ, 17. Juli 2025.

Über ganz Nord- und Ostsyrien hat sich die Rojava-Revolution, die am 19. Juli 2012 in Kobanê begann, bis heute ausgebreitet. Aus ihr entstand die Demokratischen Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien (DAANES), welche die gesamte Organisierung des gesellschaftlichen Lebens umfasst – auch den wirtschaftlichen Bereich. Durch ein Kooperativen-System soll eine Ökonomie aufgebaut werden, die auf demokratischem Konföderalismus und den Prinzipien einer ökologischen Gesellschaft basiert.

Inmitten von Krieg, Instabilität und Embargo soll ein auf lokaler Selbstverwaltung beruhendes Netzwerk von Genossenschaften in Einklang mit Natur wirtschaften und die Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung befriedigen sowie die soziale Solidarität stärken.

In diesem vierteiligen Bericht untersuchen wir die Wirtschaftsstruktur der Region, kooperative Erfahrungen, aktuelle Herausforderungen und zukünftige Ziele anhand von Interviews mit Leyla Saroxan und Mihemed Sabri, den Ko-Vorsitzenden des Wirtschafts- und Landwirtschaftsrats von Nord- und Ostsyrien, Ciwan Şikrî, dem Ko-Vorsitzenden des Genossenschaftsausschusses, und Ferhad Dede, dem Sprecher der Salzkooperative Star.

Strategische Ziele der Sozialwirtschaft

Mihemed Sabri, Ko-Vorsitzender des Wirtschafts- und Landwirtschaftsrats von Nord- und Ostsyrien, skizziert die Wirtschaftsstrategien der Region und das unter der Autonomen Verwaltung etablierte Modell der Sozialwirtschaft. Er spricht über die Vielfalt der regionalen Einrichtungen, die Entwicklung der Landwirtschaft und Viehzucht und die Maßnahmen, die trotz der anhaltenden Kriegslage ergriffen wurden.

Aufgaben des Rates und Entscheidungsprozesse

Was ist die Hauptaufgabe des Wirtschafts- und Landwirtschaftsrats von Nord- und Ostsyrien? Wie funktioniert der Entscheidungsprozess? Wie sind die Kantonsversammlungen an der Entscheidungsfindung beteiligt? Was war der Zweck der Einrichtung dieses Rates?

Mit der Bildung des Volksrates der DAANES wurde der Gesellschaftsvertrag für Nord- und Ostsyrien ratifiziert, und auf dieser Grundlage wurde am 7. Oktober der Wirtschafts- und Landwirtschaftsrat von Nord- und Ostsyrien gegründet. Der Hauptzweck dieses Rates besteht darin, Bürokratie abzubauen und die Entscheidungsgewalt der Kantone zu gewährleisten.


Die Kernaufgabe des Wirtschafts- und Agrarrats von Nord- und Ostsyrien besteht darin, die Wirtschaftsstrategie der Autonomen Verwaltung festzulegen, wobei die entsprechenden Entscheidungen von den regionalen Wirtschafts- und Agrarräten getroffen werden. Gleichzeitig soll durch die Organisation dieser Räte eine schnellere Entwicklung gefördert und die wirtschaftliche Entwicklung von Nord- und Ostsyrien vorangetrieben werden.

Arbeitsstätten in der Region

Wie viele Arbeitsstätten gibt es ungefähr in Nord- und Ostsyrien? Welche Arten von Tätigkeiten werden in diesen Einrichtungen hauptsächlich ausgeübt?

In Nord- und Ostsyrien gibt es viele große und kleine Arbeitsstätten. Einige davon werden privat von Mitgliedern der Gemeinschaft betrieben, während andere der Autonomen Verwaltung oder dem Wirtschaftsrat unterstehen. Insgesamt gibt es etwa zweitausend Einrichtungen, die Tausende von Menschen beschäftigen. Diese Einrichtungen mit ihren unabhängigen Strukturen decken einen Großteil des Bedarfs der Region sowohl im landwirtschaftlichen als auch im industriellen Bereich.

So ist beispielsweise der Geflügelsektor stark genug, um die Nachfrage der Region zu decken. Neben Milch- und Käseprodukten dienen auch weitere tierische Erzeugnisse, Weizen, Kichererbsen, Bohnen, Bulgur sowie Artikel wie Plastiktüten, die in diesen Anlagen hergestellt werden, zur Deckung der Grundbedürfnisse im Norden und Osten Syriens.

Entwicklung von Landwirtschaft, Viehzucht und Kleinhandel

Welche neuen Methoden verfolgen Sie für die Entwicklung der Viehzucht, Landwirtschaft und des Kleinhandels? Wie ist der aktuelle Stand der Entwicklung im Bereich der ökologischen und biologischen Landwirtschaft?

Als Wirtschafts- und Landwirtschaftsrat von Nord- und Ostsyrien unterstützen wir die Entwicklung der Viehzucht. Insbesondere leisten wir Hilfe im Bereich Tierfutter und ähnlichen Bedürfnissen. Wir bieten auch Geflügelzuchtbetrieben umfangreiche Unterstützung.

Für die Entwicklung des Kleinhandels wird in ganz Nord- und Ostsyrien ein sozialer Markt aufgebaut. Zu diesem Zweck wurde ein Sonderausschuss gebildet. Das Hauptziel des Ausschusses ist es, Probleme zwischen Produzierenden und Verbraucher:innen zu lösen, damit Produzierende ihre Produkte direkt an die Verbraucher:innen liefern können, ohne auf Zwischenhandel oder Händler:innen angewiesen zu sein. Darüber hinaus will dieser Ausschuss verhindern, dass Händler:innen willkürlich Produktpreise festlegen, indem er kleine Han­del­trei­ben­de in der gesamten Region unterstützt.

Die Auswirkungen von Krieg und Angriffen auf die Wirtschaft

Wie haben sich der jahrelange Krieg in Syrien, die politische Instabilität unter dem Damaskus-Regime, das nach dem Baath-Regime nun von Al-Scharaa geführt wird, und die anhaltenden Angriffe und Besetzungen durch die Türkei auf Ihre wirtschaftlichen Aktivitäten ausgewirkt? Welche Maßnahmen ergreifen Sie, um unter diesen Bedingungen die wirtschaftliche Stabilität aufrechtzuerhalten?

Die Angriffe des türkischen Besatzungsstaates auf Nord- und Ostsyrien sowie die Zerstörung kritischer Infrastruktur haben direkte und erhebliche Auswirkungen auf die Wirtschaft der Region gehabt. Trotz dieser Angriffe haben die Menschen in Nord- und Ostsyrien eine entschlossene Haltung gezeigt und es geschafft, Maßnahmen zu entwickeln, um mit den durch die Bombardierungen des türkischen Staates verursachten Problemen fertig zu werden.

Eine der größten Herausforderungen war die Unmöglichkeit, die Grundbedürfnisse zu decken, da Weizensilos und Wasserstationen bombardiert wurden. Trotz aller Angriffe überwinden die Menschen durch ihre Einheit und ihren Widerstand weiterhin die Krisen, die durch den türkischen Besatzungsstaat verursacht wurden.

Zukünftige Wirtschaftspläne

Was sind Ihre Prioritäten für die wirtschaftliche Entwicklung der Region? Auf welche Bereiche wollen Sie sich in den nächsten fünf bis zehn Jahren konzentrieren?

Mit Blick auf die Zukunft wollen wir ein soziales Wirtschaftssystem aufbauen, das auf Projekten und Organisationsstrukturen basiert, die auf Kommunen, Räten, Akademien und Genossenschaften beruhen. In Nord- und Ostsyrien stützen wir unseren Ansatz auf die Prinzipien einer Sozialwirtschaft, und für diesen Zweck wurde ein spezielles Budget bereitgestellt. Das Ziel ist es, die Arbeitslosigkeit zu verringern, die anhaltende Wirtschaftskrise in der Region zu bewältigen und die Entwicklung sowohl des landwirtschaftlichen als auch des industriellen Sektors zu unterstützen.

Die Unterstützung des Agrarsektors umfasst die Beschaffung des notwendigen Saatguts. Darüber hinaus wollen wir organische Düngemittel fördern und eine ökologische Landwirtschaft auf umweltbewusste Weise entwickeln, da unsere Vision auf den Prinzipien eines ökologischen Wirtschaftssystems fußt.

Ein Aufruf zur sozialen Teilhabe

Haben Sie abschließend eine Botschaft oder einen Aufruf, um eine stärkere Beteiligung der Öffentlichkeit an Genossenschaften zu fördern?

Wir entwickeln auf lokaler Ebene genossenschaftliche Projekte durch Treffen mit den Menschen, doch aufgrund der vorherrschenden autoritären Mentalität in der Gesellschaft ist das Interesse am Genossenschaftssystem nach wie vor gering. Diese Denkweise stellt uns vor große Herausforderungen. Unser Ziel bei der Entwicklung genossenschaftlicher Projekte ist es, sicherzustellen, dass die Gesellschaft Eigentümerin ihrer eigenen Arbeit wird. Nur so kann eine gemeinschaftliche und sozial verankerte Wirtschaft vorankommen.

Fortsetzung folgt...

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