("adopt ..."): Was bedeutet der Gewaltausbruch für Syrien?

 


Die jüngsten Massaker an der syrischen Küste werfen einen dunklen Schatten auf die Zukunft des Landes. Die Zivilbevölkerung fordert eine unabhängige Justiz und eine lückenlose Aufarbeitung der Verbrechen.

Die schlimmsten Befürchtungen seit dem Sturz des Assad Regimes wurden vergangene Woche wahr: In den syrischen Küstenregionen kam es zu massiver Gewalt und konfessionell motivierten Morden. Das ganze Ausmaß der gesellschaftlichen und politischen Folgen dieser Ereignisse ist noch nicht absehbar. Klar ist jedoch: Sie zeigen unter anderem, wie tief der Hass aus Jahrzehnten der Diktatur, Gewalt und Spaltung in der syrischen Gesellschaft verwurzelt ist. Und sie machen die dringende Notwendigkeit einer Übergangsjustiz deutlich. Denn ohne Gerechtigkeit und Rechenschaft auf allen Seiten wird es keinen dauerhaften Frieden geben.

Was war passiert?

Die Gewalt brach am Donnerstagabend aus, als bewaffnete pro-Assad-Milizen (die sogenannten „Überreste des Regimes“) einen koordinierten Angriff starteten und Dutzende Stellungen und Kontrollpunkte der syrischen Regierungstruppen in der Region Jableh südlich von Lattakia überfielen. Dabei kamen laut Berichten 13 Sicherheitskräfte ums Leben. Die Angreifer konzentrierten sich auf strategische Ziele: die Marinebasis Jableh, zentrale Straßenkreuzungen in Tartus und Baniyas sowie die Autobahn zwischen Latakia und Idlib. 

Es scheint, dass der Aufstand darauf abzielte, Syrien zu destabilisieren – möglicherweise durch das Anfachen eines Bürgerkriegs oder die Abtrennung der Küstenregion. Die meisten bekannten Anführer sind ehemalige Kommandeure der vierten Division von Assads Armee, die eng mit dem Iran verbündet war.

Die neue vereinigte Armee der Übergangsregierung führte daraufhin eine groß angelegte Operation durch, um die Angriffe der pro-Assad-Aufständischen in Baniyas, Tartus und Lattakia abzuwehren. Laut zahlreicher Quellen wurden dabei gezielt Zivilist*innen auf beiden Seiten getötet. Besonders brutal gingen Bewaffnete gegen die alawitische Minderheit in den Küstengebieten vor. Es gibt mittlerweile zahlreiche Berichte über Massaker, in denen ganze Familien ausgelöscht wurden.

In den Küstenprovinzen Latakia (im Bild) und Tartus gehören mindestens zehn Prozent der Bewohner*innen der alawitischen Minderheit an.

Das genaue Ausmaß und wer für welche Tat verantwortlich ist, muss vielerorts noch geklärt werden. Fest steht: Neben den neuen syrischen Streitkräften zogen Tausende bewaffnete Freiwillige eigenmächtig an die Küste. Milizen und Teile der Übergangsarmee ignorierten weiterhin augenscheinlich den Befehl Al-Sharaas, Plünderungen, aber vor allem Massaker zu unterlassen. Daneben sollen auch Assad-Loyalisten Zivilist*innen getötet haben.

Die Opferzahlen der beobachtenden Menschenrechtsogranisationen weichen stark voneinander ab. Während das Syrische Netzwerk für Menschenrechte (SNHR) die Tötung von insgesamt 779 Personen dokumentiert hat, darunter bis zu 600 Zivilist*innen, berichtet die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) von bis zu 1.000 getöteten Zivilisten, hauptsächlich aus der alawitischen Gemeinschaft. Mehr als 10.000 Menschen sind mittlerweile aus der Region in den Libanon geflohen.

Die aktuellen Ereignisse zeigen, wie schwer es ist, an verlässliche Informationen zu gelangen. In vielen Regionen Syriens  fehlen Strukturen unabhängiger Medien und Beobachtungsstellen, die direkt vor Ort berichten können. Diese Lücke wird gezielt genutzt: Fake News und Desinformationskampagnen in sozialen Medien verbreiten sich rasant und verzerren die Wahrnehmung der Lage. Besonders problematisch ist, dass verschiedene Akteure gezielt falsche Narrative streuen, um politische Interessen zu verfolgen.

Was sind die Reaktionen?

Als ersten Schritt der Aufarbeitung gab Machthaber Ahmad al-Sharaa die Einberufung eines Untersuchungsausschusses sowie ein “Komitee für zivilen Frieden” bekannt, welche die Verbrechen untersuchen werden. Erste Ergebnisse sollen innerhalb von einem Monat vorliegen. Einige Kämpfer der Milizen, die ihre Gräueltaten auf Social Media posteten, wurden medienwirksam verhaftet.

Doch die jüngsten Ereignisse haben das Vertrauen in die Übergangsregierung stark erschüttert. Reaktionen aus der syrischen Bevölkerung bewegen sich zwischen Entsetzen, Wut und Trauer. Sie sehen ein Versagen des Staates, der aus ihrer Perspektive dafür verantwortlich ist, solche Taten zu verhindern und die Zivilbevölkerung überall in Syrien zu schützen. Viele fürchten, dass die Aufarbeitung der Verbrechen nur auf wenige symbolische Schritte belaufen wird.

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