“Niemand würde hierhin kommen, wenn es andere Zufluchtsorte gäbe”
Warum fliehen syrische Flüchtlinge vor den israelischen Angriffen im Libanon ausgerechnet nach Syrien – einem Land, das sie einst verlassen mussten? Unser Partner unterhält Aufnahmezentren in Nordsyrien und beschreibt die pure Verzweiflung aus erster Hand.
Warum fliehen syrische Flüchtlinge aus dem Libanon ausgerechnet zurück nach Syrien?
Anas: Wer keine Ahnung von Geografie hat, weiß nicht, dass der Libanon keine Landesgrenzen hat, über die Menschen fliehen können – außer Syrien. Auch innerhalb des Landes gibt es kaum Möglichkeiten, Zuflucht zu finden. Der Libanon ist immer noch stark polarisiert und konfessionell gespalten. Das heißt, nicht jede*r kann sich frei bewegen und wird überall aufgenommen in der Not. Das passiert Syrer*innen als auch Libanes*innen.
Politiker im Libanon argumentieren, dass die Flucht von Syrer*innen ein Zeichen für das Ende des Krieges in Syrien sei und fordern die Geflüchteten auf, das Land zu verlassen. Was hältst du von dieser Aussage?
Anas: Absoluter Unsinn! Es zeigt einfach nur, wie verzweifelt die Menschen sein müssen. Sie fliehen von einem Feuer in das nächste, wo die Flammen fast genauso hochschlagen. Der Krieg in Syrien ist nicht vorbei. Das Regime, die Türkei und jetzt auch Israel bombardieren in Syrien. Niemand würde hierhin kommen, wenn es andere Zufluchtsorte gäbe.
Warum versuchen syrische Flüchtlinge nicht, in die von dem Assad-Regime kontrollierten Gebiete zu fliehen?
Anas: Die Syrer*innen, die in den Libanon geflohen sind, wissen, was ihnen in Regimegebieten blüht. Genau deswegen sind sie ja geflohen und wollen nicht zurück. Die Sicherheitslage für sie hat sich nicht verbessert. Es gibt willkürliche Verhaftungen, und die Lebensbedingungen sind sehr schlecht. Ich glaube aber auch, dass das Regime kein Interesse hat, Syrer*innen aufzunehmen. Sie wären eine zusätzliche Belastung in der Krise. Die libanesischen Flüchtlinge wiederum kann da Regime nutzen, um international politische Interessen durchzusetzen und Hilfen einzufordern.
Es gibt bereits Berichte, dass das Assad-Regime fliehende Syrer*innen festgenommen hat. Was passiert an den Regime-Übergängen, die die Menschen passieren müssen?
Anas: Dass Menschen festgenommen werden, wundert mich nicht. Ich glaube aber, das Regime nutzt diese Situation vor allem, um Syrer*innen erneut innerhalb der Landesgrenzen zu vertreiben und sich zu bereichern. Wer die Grenze überquert, muss ca. 100 US-Dollar bezahlen. Weitere “Durchgangsgebühren” werden an militärischen Checkpoints fällig. So einen gibt es zum Beispiel in Taiha, einem Ort nahe Aleppo. Dort verlangt die vierte Division Geld von Flüchtlingen und behauptet, es sei eine Art Zollgebühr. Grausam!
Ihr kümmert euch nun auch zusätzlich um Flüchtlinge aus dem Libanon. Auf welche Weise unterstützt ihr sie?
Anas: In letzter Zeit haben wir bereits spezielle Aufnahmezentren für Familien geschaffen, die aus der Türkei abgeschoben wurden. Jetzt haben wir uns entschlossen, diese Zentren auch für Menschen zu öffnen, die aus dem Libanon fliehen. Derzeit gibt es zwei Häuser, in denen insgesamt fünf Zimmer zur Verfügung stehen. In jedem dieser Zimmer kann eine Familie für 10 bis 15 Tage unterkommen. Während dieser Zeit erhalten sie Unterstützung, um sich zu orientieren und eine dauerhafte Unterkunft zu finden. In der ersten Fluchtbewegung aus dem Libanon kamen aber bereits 1.500 Familien an und es werden noch mehr werden. Aufgrund unserer begrenzten Ressourcen ist dies momentan das Maximum, das wir anbieten können. Aber es ist immerhin etwas.
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