Erdoğan will Frieden mit Assad: “Die Bevölkerung wird sich wehren”
Erdoğan kündigte den Abzug türkischer Truppen aus Syrien an, um Gespräche mit Assad über die Rückführung syrischer Flüchtlinge zu ermöglichen. Wie denken die Menschen in der Region darüber?
Nachdem in der Türkei regelrecht Jagd auf syrische Geflüchtete gemacht und deren Eigentum zerstört wurde, kam es am 1. Juli in Nordsyrien zu teils gewalttätigen Protesten gegen türkische Einrichtungen und Sicherheitskräfte. Wie hast du diesen Tag erlebt?
Anas: Was an diesem Tag passiert ist, war eine schallende Ohrfeige für die Türkei. Kleinere Demonstrationen gegen die türkische Besatzung gab es schon seit 2017 in der Region, doch solch einen Aufruhr hatte es noch nicht gegeben. Straßensperren wurden errichtet, Lastwagen mit türkischen Kennzeichen und Fahrzeuge, die türkische Militär oder Beamte transportierten, angegriffen. Ich persönlich bin kein Befürworter der Gewalt, die hauptsächlich von Milizen ausging. Ich sehe den Ausbruch aber als notwendiges Übel, um der Türkei zu signalisieren: So könnt ihr nicht mit uns und unseren syrischen Brüdern und Schwestern in eurem Land umgehen.
Seit diesem Tag war es auch schwierig, mit dir über das Internet zu kommunizieren. Du hattest keinen Empfang …
Anas: Das Internet wurde von den türkischen Besatzern abgeschaltet, um eine Organisation der Proteste zu erschweren. Aber auch, um uns zu zeigen, wer hier das Sagen hat. Strom, Internet und Brot – darüber hat die Türkei die Macht. Würde sie die Grenzübergänge für eine Woche schließen, würden die Menschen hier verhungern. Sie kontrolliert unsere Mehlversorgung. Wir sind völlig ausgeliefert.
Die rassistischen Übergriffe in der Türkei waren aber nicht der einzige Grund für die Ausschreitungen in Nordsyrien. Was hältst du von der Ankündigung Erdoğans und anderer türkischer Verantwortlicher, dass die Türkei ihre Beziehung zum syrischen Regime normalisieren und aus Nordsyrien abziehen will?
Anas: Die Türkei hat versucht, ihren Nutzen aus unserer Region zu ziehen. Das ist auch jetzt der Fall. Ich sehe hier nicht nur eine Normalisierung, sondern eine echte Versöhnung. Die reicht viel weiter. Aber eine Aussöhnung mit Assad wird nicht einfach sein, denn die Bevölkerung hier wird diesen Schritt nicht mitgehen. Es sind etwa viereinhalb bis fünf Millionen Menschen, die Assad aus ihren Häusern vertrieben, ihre Familien getötet und sie zu einem Leben in Zelten verdammt hat. Sie haben nichts mehr zu verlieren. Sie werden Widerstand leisten und sich wehren.
Du meinst, sie werden mit aller Kraft dagegen kämpfen, dass die Region wieder unter die Kontrolle des Regimes fällt? Wird es also zu Konflikten kommen?
Anas: Nicht nur die Bevölkerung wird versuchen sich zu wehren. In Syrien ist nicht nur die Türkei präsent, auf regionaler Ebene gibt es viele bewaffnete Fraktionen wie Hai’at Tahrir al-Sham (HTS), die einschreiten wird. Ich bin mir sicher, dass es zu Kämpfen kommen wird, noch bevor die Versöhnung zwischen den beiden Parteien abgeschlossen ist.
Weg von bewaffneten Milizen, zurück zu den Menschen: Ganz ehrlich, wie blickst du in die Zukunft?
Anas: Wir Zivilisten sind voller Angst. Ich schlafe kaum noch. Mich beschäftigt nur eine Frage: Was passiert, wenn die Türkei abzieht? Die einen sagen: “Dann sterben wir.” Die anderen: “Abwarten!” Und ich weiß nicht, was ich noch glauben soll.
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