Abschiebungen von Jesid*innen: »Wir brauchen öffentlichen Druck«
Interview mit der Rechtsanwältin Kareba Hagemann über die Abschiebungen von Jesid*innen aus Deutschland
iz3w: Im Januar 2023 hat der Bundestag den Völkermord an Jesid*innen durch den IS offiziell als solchen anerkannt. Was hat sich dadurch für jesidische Menschen in Deutschland verändert?
Kareba Hagemann: Durch die Anerkennung des Genozids als solchen hat sich rechtlich für die Menschen überhaupt nichts verändert. Die Asylanträge von Jesid*innen aus dem Irak wurden schon 2017 abgelehnt wegen der vermeintlichen Zerschlagung des Islamischen Staates. Seinerzeit haben die Ausländerbehörden gesagt: »Ihr werdet sowieso nicht abgeschoben, ihr werdet geduldet und braucht nichts zu befürchten«. Die Sicherheitslage galt als so prekär, dass man niemanden dorthin hätte abschieben können. Deswegen hat man Iraker*innen allgemein geduldet, so auch die Jesid*innen.
Aufgrund des erlittenen Genozides und durch seine Anerkennung hatten die Menschen die Hoffnung, dass sie aus der Duldung rauskommen und aus humanitären Gründen ein Bleiberecht erhalten. Sie haben nicht damit gerechnet, dass die ersten Bundesländer schon fünf Monate später ihre Abschiebung in den Irak vorbereiten. Es hat sich nichts verbessert. Die Anerkennung des Genozids durch den Bundestag war ein rein symbolischer Akt. Dabei müsste es eine moralische Verpflichtung geben, den Menschen einen sicheren Aufenthalt zu bieten. Für die Betroffenen führt die drohende Abschiebung zu einer Retraumatisierung, weil sie glaubten, in Deutschland endlich in Sicherheit zu sein. Viele wollen aus Angst nicht an Demonstrationen oder anderen politischen Aktivitäten teilnehmen. Die Menschen werden zum Schweigen gebracht.
Wie viele jesidische Menschen sind aktuell von Abschiebungen bedroht?
Das lässt sich nicht genau sagen, auch weil immer noch Menschen ankommen. Die Situation im Irak ist weiterhin desolat und die Sicherheitslage in den IDP (International Displaced Person) Camps für Jesid*innen ist prekär. In der Sinjar-Region sind Häuser und Infrastruktur zum größten Teil zerstört. Jesid*innen werden nach wie vor aufgrund ihrer Religion marginalisiert und diskriminiert.
Ich weiß, dass mittlerweile mehr als 100 Menschen abgeschoben wurden. Darunter sind auch Menschen, die in anderen europäischen Ländern bereits als asylberechtigt anerkannt waren. Eine Person, die in einem der IDP Camps untergekommen ist, hat berichtet, dass sehr aggressiv gegen Menschen vorgegangen wird, die die Meinung vertreten, dass auch Kurd*innen am Genozid mit verantwortlich waren. Nachdem die Person solche Posts in den Sozialen Medien geteilt hat, wurde sie vorgeladen und – so wie ich es verstanden habe – auch gefoltert. Inzwischen ist der Mensch in der Region Sinjar untergetaucht.
Wie wird innerhalb der jesidischen Community in Deutschland damit umgegangen?
Es gibt nicht die eine jesidische Community, da müssen wir differenzieren und die Unterschiede auch anerkennen. Auch wenn einige Jesid*innen sich als Kurden*innen sehen, lehnen viele aus Sinjar diese Zuordnung ab. Aus ihrer Sicht tragen kurdische Parteien und Regierung eine Mitschuld am Genozid. Sie fühlen sich verraten. Der Hintergrund ist zum einen, dass sich die kurdischen Peschmerga 2014 aus der Sinjar-Region zurückgezogen haben und die Jesid*innen aus ihrer Sicht im Stich ließen. In den Folgejahren, nachdem der IS in der Region besiegt war, kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Peschmerga und PKK nahen Milizen wie auch den jesidischen Widerstandseinheiten Singal (YBS). Die Jesid*innen haben das Gefühl, dass sie sich auf die kurdische Regionalregierung in Erbil nicht verlassen können.
»Die drohende Abschiebung führt zu einer Retraumatisierung«
Das trauen sich allerdings die wenigsten laut auszusprechen, auch nicht in ihrem Asylverfahren, weil sie Angst vor Repressionen haben. Die großen jesidischen Vereine in Deutschland sind fast alle kurdisch geprägt und werden zum Teil auch von kurdischen Parteien mitfinanziert. Und auch innerhalb der Linken gibt es eine Romantisierung der kurdischen Bewegung, was Solidarität mit den nicht-kurdischen Jesid*innen erschwert.
Wie sollte Unterstützung für Jesid*innen in Deutschland gestaltet sein?
Sie brauchen Aufmerksamkeit und es braucht ein größeres Wissen der Bevölkerung in Deutschland über ihre Situation. Nur durch öffentlichen Druck kann ein Bleiberecht als politische Entscheidung erwirkt werden. Es handelt sich bei den Jesid*innen aus dem Sinjar um eine kleine, marginalisierte Gruppe. Die deutsche Politik muss ihr Leid endlich anerkennen und ihnen zusichern, dass sie nicht in das Land der Täter abgeschoben werden. Außerdem brauchen die Betroffenen rechtlichen Beistand. Die meisten meiner Klient*innen kommen erst zu uns, wenn eine Abschiebung unmittelbar droht. Dann ist unser Handlungsspielraum allerdings begrenzt. Manchmal können Petitionen helfen, die aber nicht in allen Bundesländern eine aufschiebende Wirkung erzielen. Deshalb ist eine frühzeitige rechtliche Beratung wichtig.
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