Im Herzen der Revolution. Interrview mit Leila al-Shami


Im Interview blickt Leila al-Shami auf die syrische Revolution zurück – von ihren Anfängen im Jahr 2011 bis zur aktuellen Situation.

Hallo Leila. Danke, dass du dieses Interview im Rahmen deiner Vortragsreihe in Frankreich machst. Du bist hier, um über ‘Das brennende Land’ zu sprechen, dein Buch über den syrischen Aufstand. Kannst du zunächst die Entwicklung zusammenfassen, die du in deinem Buch über die Ursachen des Aufstandes, der ab 2011 in ganz Syrien stattfand, aufgeschrieben hast? Du sagst oft, dass es sowohl politische Erklärungen als auch wirtschaftliche Ursachen für diesen Aufstand gibt …

Ich denke, dass der syrische Aufstand im Kontext der grenzüberschreitenden revolutionären Bewegung verstanden werden muss, die zu dieser Zeit in der Region stattfand, und dass die Forderungen und die Ausrichtung der Kämpfe der Menschen in der gesamten Region sehr ähnlich waren, nämlich gegen die autoritären Regime, Korruption, mangelnde Chancen, insbesondere in Hinblick auf die mangelnden Beschäftigungsmöglichkeiten von Jugendlichen, bei denen es eine sehr hohe Arbeitslosenquote gegeben hat.
Speziell in Syrien gab es zwei wesentliche Faktoren: Zum einen die politische Repression und zum anderen die sozioökonomische Situation.
In Bezug auf den ersten Faktor, die Frage der politischen Repression, sollte daran erinnert werden, dass Hafez Al-Assad 40 Jahre vor dem Aufstand an die Macht gekommen war und ein totalitäres und Polizei-Regime errichtet hatte, in dem alle Formen der politischen Opposition brutal unterdrückt wurden. Die Gefängnisse waren voll von Regimegegnern, seien es Linke, Kommunisten, Liberale, Mitglieder der Muslimbruderschaft, aber auch Kurden, unabhängige Journalisten, es gab im Land keine unabhängigen Zeitungen.
So konsolidierte Hafez Al-Assad seine Macht zunächst innerhalb der Ba’ath-Partei, die eigentlich primär im Dienste der Assad-Familie stand.

Als Bashar Al-Assad nach dem Tod seines Vaters im Jahr 2000 die Macht erbte, gab es erste Hoffnung auf politische Offenheit.
Bashar gab sich als Modernisierer aus, und er schien politisch offener zu sein als sein Vater und zu dieser Zeit gab es tatsächlich eine Bewegung, an der ich sehr wesentlich beteiligt war, bekannt geworden als “Damaszener Frühling“.
Es war keine massive Volksbewegung wie heute, es war eine Bewegung von Intellektuellen, Schriftstellern und Menschenrechtsaktivisten. Diese Bewegung forderte mehr politische Freiheiten, ein demokratisches System mit einer Vielzahl von Parteien, die Freilassung der politischen Gefangenen, ein Ende des Ausnahmezustands, der alle demokratischen Rechte außer Kraft setzte und den Sicherheitsdiensten Allmacht gab. Aber all dies wurde nach einigen Jahren zerschlagen, und alle Hoffnung auf politische Reformen unter Baschar verschwand.

Ihr beharrt oft auf der Tatsache, dass es vor allem ein ziviler Aufstand war, der mit sehr großen Demonstrationen begann, eine Volksbewegung, dass die Militarisierung stattfand, weil die Bevölkerung sich gegen die Unterdrückung des Regimes bewaffnen musste, ob man nun an die Demonstranten denkt, die sich gegen die Scharfschützen bewaffneten, oder an die Notwendigkeit, die Deserteure der Armee zu verteidigen, die sich geweigert hatten, an der Unterdrückung der Bewegung teilzunehmen …
Du beschreibst auch die Selbstorganisation des syrischen Aufstandes …
Kannst du erklären, welche Form diese Selbstorganisation angenommen hat, und zum Beispiel die Funktionsweise der lokalen Räte beschreiben? Kannst du uns auch ein wenig mehr darüber erzählen, wie dies parallel zur Existenz der bewaffneten Gruppen bestehen konnte?

Im Gegensatz zu den Ereignissen in Ägypten und Tunesien fanden wir in Syrien anfangs keine revolutionäre Bewegung vor, sondern eine Reformbewegung mit ähnlichen Forderungen wie die des “Damaszener Frühling” (Befreiung der politischen Gefangenen, Mehrparteiensystem usw.). Es war die Erfahrung der gewaltsamen Unterdrückung der Protestbewegung, der Verhaftungen von Demonstranten, der Schießereien, die zum Wachstum und zur Radikalisierung der Bewegung führten. Als es begann, gab es kleine Gruppen von Aktivist*innen, die sich kannten und begannen, die Demonstrationen zu organisieren oder zu unterstützen, Plakate oder Transparente zu machen, Barrikaden zum Schutz der Menschen vor den Angriffen des Regimes zu errichten und regelmäßig Menschen auf die Straße zu bringen.

Mit dem Beginn der Demonstrationen begriffen die Menschen, dass es eine Notwendigkeit der Koordination zwischen den verschiedenen Bewegungen und die Notwendigkeit der Vereinigung der politischen und revolutionären Forderungen gab. Und es gab eine Reihe von Initiativen, die dies versuchten. Aus meiner Sicht war der inspirierendste dieser Versuche die von einem Freund von mir mitgegründeten ‘Local Coordinating Committees’ (LCCs). Sie begannen, die lokalen Koordinationskomitees zu organisieren, die die Bewegung und ihre politischen Bestrebungen vereinen sollte, und auch eine Informationsarbeit zu organisieren, um den Menschen verständlich zu machen, was in Syrien vor sich geht. Nicht nur um die massive Repression der Bewegung im Ausland zu dokumentieren, sondern auch innerhalb des Landes, um vom Regime zensierte Informationen zu verbreiten.
Das war also eine der interessanten Organisationsformen, die sich dann wegen der Repression, auch wenn viele in diesen Komitees dies als Fehler empfanden, es aber anderseits wegen der Zuspitzung unausweichlich war, mehr auf humanitäre Aktivitäten konzentrierte. Sie begannen, Lebensmittelkörbe für die belagerten Gebiete zu verteilen, Kleidung und Geld zu sammeln, um es den Menschen zu schicken, damit sie überleben konnten. Besonders gefällt mir die horizontale, multireligiöse Organisationsform mit der Präsenz von vielen Frauen in diesen Gremien.
Ein weiteres sehr interessantes Phänomen bei der Befreiung der Gebiete vom Regime als Folge der Militarisierung (s.u.) war, dass die Menschen sich organisieren mussten, um ihre Gemeinschaften funktionsfähig zu halten, einschließlich der Sicherstellung von Wasser-, Strom- und Lebensmittelversorgung, des Betriebes der Schulen, der Gesundheitsdienste… und eines ihrer Modelle waren die lokalen Räte, ein Konzept, das der syrische Anarchist Omar Aziz entwickelt hat. Er glaubte, dass es nicht ausreicht, dass die Menschen auf die Straße gehen und demonstrieren, sondern dass sie eine Alternative zum autoritären Staat aufbauen müssen.
So begannen diese lokalen Räte in Gemeinden in ganz Syrien, in Städten, Ortschaften, Dörfern und Nachbarschaften, mit Hunderten von Mitgliedern während des Höhepunkt des Aufstandes in den Jahren 2012-2013, aktiv zu werden. Und viele dieser Räte haben demokratische Wahlen abgehalten, die ersten seit über 40 Jahren in Syrien. Die meisten sahen sich vielen Herausforderungen ausgesetzt, einige waren recht „inklusiv“ und fortschrittlich, und andere, besonders in ländlichen Gebieten, waren eher von Stammesstrukturen dominiert. Es war also alles nicht perfekt, aber es war ein Modell, das im Westen weitgehend nicht wahrgenommen wurde. In der Tat hören wir oft, dass “Araber nicht für die Demokratie gemacht sind, sie brauchen einen starken Mann, um sich nicht gegenseitig umzubringen”, und doch können wir jetzt sagen, dass es in Syrien unter den Bedingungen des „totalen Krieges“ diese lokalen Räte gab, die versuchten, eine bestimmte Form der Demokratie zu praktizieren.
Was die Militarisierung betrifft, so war sie in erster Linie eine Reaktion auf die massive Repression, mit der die Menschen konfrontiert waren, wenn sie demonstrierten und vom Regime beschossen wurden, bis hin zum Einsatz von Mittelstreckenraketen gegen Wohngebiete. Das Regime gründete auch Milizen, die in aufständische Gemeinden geschickt wurden, um Frauen zu vergewaltigen und Frauen, Männer und Kinder zu ermorden. Als Reaktion darauf richteten die Aufständischen lokale Selbstverteidigungseinheiten ein, die sich aus jungen Männern zusammensetzten, die ihre Gemeinden, Straßen und Familien vor den Angriffen des Regimes schützten. Im Laufe der Zeit begannen sie sich auch unter dem Dach der Freien Syrischen Armee (FSA) locker zu koordinieren. Ich denke, dass es oft eine falsche Auffassung von der FSA als zentral organisierte und zentral finanzierte Armee gibt, was sie nicht war, obwohl es Versuche gab – letztendlich erfolglos -, dies mit der Einrichtung eines zentralisierten Kommandos in der Türkei zu realisieren, ein zentralisiertes Kommando, das in Wirklichkeit keinen Einfluss auf die meisten bewaffneten Gruppen hatte. In jedem Fall waren die Menschen, die im Laufe der Zeit zur FSA kamen, Menschen, die das Regime loswerden wollten und für einen demokratischen Übergang waren, bei dem das Volk selbst seine eigenen Vertreter wählen konnte.
Wir müssen konstatieren, dass dieser Aufstand international, insbesondere von der westlichen Linken, äußerst schlecht verstanden wurde. Wir sehen auch, dass sich im Zuge der fortschreitenden Militarisierung von der extremen Linken bis zur extremen Rechten eine „antiterroristische“ und militärische Interpretation durchgesetzt hat, wobei der „antiterroristische“ Diskurs mit der Entstehung des „Islamischen Staates“ (ISIS) immer wichtiger wurde. Und das hat sich bis heute fortgesetzt, wenn man von der extremen Linken bis zur extremen Rechten eine gewisse Anzahl von Menschen findet, die mehr oder weniger schändlicherweise der Vernichtung des syrischen Aufstandes applaudieren, den sie auf einen “Dschihadismus” reduzieren.

Du hast einen Text mit dem Titel “Der Anti-Imperialismus der Narren” geschrieben, der ins Französische übersetzt wurde und auf der Seite Solitudes intangibles zu finden ist. Kannst du uns erklären, was der „Anti-Imperialismus der Narren“ ist?

Ich denke, dass die Reaktion der Linken auf die Geschehnisse in Syrien ein bedauerlicher Irrtum war. Nicht von der gesamten Linken, es gibt viele Menschen und Organisationen, die ihre Solidarität mit den Revolutionären zum Ausdruck gebracht haben. Aber im Allgemeinen hat die Linke das Geschehen falsch charakterisiert und missverstanden. Ein Teil dieser Reaktion hängt mit einer veralteten politischen Logik zusammen, die darin besteht, das Geschehen in Syrien vor dem Hintergrund der Geschehnisse im Irak im Jahr 2003 zu sehen, obwohl die Bedingungen sehr unterschiedlich waren. Es gab keinen Volksaufstand im Irak, die Vereinigten Staaten gingen hin und zwangen dem Volk “Demokratie” auf, und es endete nicht nur damit, dass sie einen Diktator stürzten – womit die meisten Menschen wahrscheinlich einverstanden waren – sondern auch damit, dass sie das Land besetzten, was zu einer schweren humanitären Krise und einer Zunahme von Sektierertum und religiösem Extremismus führte, Probleme, mit denen der Irak auch heute noch konfrontiert ist.
Ein weiterer Faktor war die ausschließlich geopolitische Lesart des Geschehens, das ausschließlich als Konfrontation zwischen Staaten gesehen wurde, während in den ersten Jahren des Aufstandes in Syrien die Hauptkonfrontation zwischen einem faschistischen Regime und einer rebellischen Bevölkerung, die versuchte, diesem Regime zu widerstehen, stattfand. Diese „staatszentrierte“ Analyse führte dazu, dass sich die Menschen eher mit einem Staat solidarisch zeigten, als dass sie die Bevölkerung unterstützten. Dieser überholte analytische Rahmen, der aus dem Kalten Krieg geerbt wurde, mit der Idee, dass “der Feind meines Feindes mein Freund ist”, oder dass “der einzig existierende Imperialismus der der Vereinigten Staaten ist“, und einem „wir müssen uns ihm entgegenstellen und daher Russland unterstützen”, ohne zu erkennen, dass man sich damit nur für eine Seite in einer inter- imperialistischen Konfrontation entscheidet. Russland ist kein antiimperialistisches Regime und war es auch nie, da es einen wichtigen Teil Syriens besetzt hält und eine faschistische Diktatur unterstützt.
Es gab auch einen rassistischen Diskurs, der die Gegner des Assad-Regimes als Dschihadisten darstellte und die Syrer in ihrem Widerstand gegen den Autoritarismus mit abstoßenden islamfeindlichen Diskursen verunglimpfte, ohne zu sehen, dass der Aufstand in Syrien seit Jahren nicht nur gegen das Regime, sondern auch gegen extremistische islamistische Gruppen gerichtet ist, nicht nur gegen „Daech“, sondern auch gegen Gruppen wie „Ahrar Al-Sham“ oder „Jaych Al-Islam“, die offiziell Teil des Anti-Assad-Kampfes waren (im Gegensatz zu „Daech“) und dennoch auf starken lokalen Widerstand stießen. Die Militarisierung hat in der Tat aus verschiedenen Gründen zu einer Islamisierung geführt, bis zu dem Punkt, an dem Islamisten die militärische Opposition gegen das Regime zu dominieren begannen. Aber es sollte daran erinnert werden, dass die zivile Opposition immer überwiegend demokratisch, „inklusiv“ und antiislamistisch geblieben ist.

Und wie du geschrieben hast, existiert die zivile Opposition immer noch, besonders in Idlib, wo Menschen sowohl gegen das Regime als auch gegen dschihadistische Gruppen demonstrieren, während diese Menschen gleichzeitig unter dem Bombardement des Regimes und den russischen Bombenangriffen überleben …

Jede Woche gibt es Demonstrationen gegen das Regime und dschihadistische Gruppen, gegen die HTS („Hayat Tahrir Al-Sham“), die islamistische Gruppe, die die Provinz Idlib am meisten kontrolliert. Diese Demonstrationen werden nicht besonders bekannt und werden nicht unterstützt, die Syrer sind mit mehreren Faschismen konfrontiert, wir sollten diese Menschen unterstützen und respektieren und sie nicht verunglimpfen oder ignorieren.

Parallel zum syrischen Aufstand gab es die Erfahrungen der PYD, die ab 2011 mit dem Regime den Abzug der Regimetruppen und die Einrichtung einer Selbstverwaltung in Rojava verhandelte. Es ist eine Erfahrung, die durch die türkische Invasion zerstört wird. Kannst du uns mehr darüber erzählen, was im Moment in Rojava infolge der türkischen Invasion passiert, und was dies sowohl für die kurdische als auch für die arabische Bevölkerung bedeutet?

Ich denke, es ist so schwer zu sagen, wie es enden wird, und zwar wegen der ständigen Umwälzungen. Dies ist nicht die erste Intervention der Türkei in Syrien: 2016 gab es die Operation „Euphratschild“ und 2018 die Operation „Afrin“. Die türkischen Interventionen haben zwei Hauptziele: Zum einen, die Errichtung der kurdischen Autonomie entlang der türkischen Grenze zu verhindern, da die PYD, die dominierende kurdische Partei in Syrien, in engem Kontakt mit der PKK steht, die der türkische Staat als seinen Feind betrachtet, zum anderen 30 Kilometer tief entlang der Grenze eine “Sicherheitszone” zu schaffen, in der der türkische Staat 2 Millionen syrische Flüchtlinge – es gibt derzeit 3,6 Millionen in der Türkei, mehr als in jedem anderen Land der Welt, abschieben kann. Denen gegenüber die einheimische Bevölkerung zunehmend feindselig eingestellt ist, es gibt viel Rassismus, Angriffe auf ihre Unternehmen usw. Zudem haben in den letzten Monaten die Zwangsausweisungen aus der Türkei nach Nordsyrien massiv zugenommen.
Darüber hinaus ist die Situation in den von der SDF kontrollierten Gebieten von Ort zu Ort unterschiedlich, da in den überwiegend kurdischen Gebieten wie Afrin, Kobane, etc. die Hauptbedrohung von der Türkei und ihren Stellvertretermilizen ausgeht. Als diese Milizen die Kontrolle über Afrin übernahmen, gab es zahlreiche Menschenrechtsverletzungen, viele Menschen wurden vertrieben und an der Rückkehr gehindert, Häuser wurden an vertriebene Araber übergeben, sodass es in diesen Gebieten zu erzwungenen demographischen Veränderungen kam. Aber in den überwiegend arabischen Gebieten, die von der SDF und der PYD kontrolliert werden, ist die größte Angst der Bevölkerung die Rückkehr des Regimes und des Verbündeten Iran, und es gab deshalb kürzlich Demonstrationen in Manbij, Raqqa und Deir El-Zor gegen die Verhandlungen zwischen dem Regime und der PYD. Es besteht die Befürchtung, dass das Regime in diese Gebiete zurückkehren und Massenverhaftungen vornehmen wird, wie in den anderen Gebieten, über die das Regime die Kontrolle wiedererlangt hat. Es ist klar, dass die Türkei und Russland sich abstimmen, dass sie versuchen, eine Lösung zu finden, auch wenn nicht klar ist, wer diese Gebiete letztendlich kontrollieren wird, ob z.B. die Vereinigten Staaten die Ölfelder verlassen oder bleiben werden, um sie zu sichern. Sicher ist, dass diese türkische Intervention zu einer erheblichen Zunahme der ethnischen Konflikte und religiösen Spannungen in der Region führt.

Es scheint dir extrem wichtig zu sein, zu erklären, dass es einen Aufstand gegeben hat, dass ab 2011 in Syrien wirklich eine Volksbewegung stattgefunden hat. Ich nehme an, dies richtet sich gegen diese Form des „Negationismus“* in Bezug auf Syrien und gegen verschiedene Formen der Verschwörungstheorien. Da es dir auch wichtig zu sein scheint, Aktivisten zu treffen und mit ihnen über Syrien zu sprechen, frage ich mich, was wir deiner Meinung nach für die Volksbewegungen in Syrien tun könnten oder sollten. Sowohl um zum Beispiel die Menschen in Idlib zu unterstützen, die noch immer demonstrieren, die dort in der letzten Rebellenenklave leben und bombardiert werden, als auch die Bewegungen in den Gebieten, die vom Regime übernommen wurden. Wir wissen, dass es immer noch Menschen gibt, die demonstrieren, um Deir El-Zor herum oder in Südsyrien, in Ostsyrien, auch im Süden… Können wir hier Wege finden, gegen das syrische Regime, gegen Russland und vielleicht auch gegen unsere Regierungen in Europa zu agieren, die jetzt zu einer gewissen Akzeptanz der Tatsache zu finden scheinen, dass Assad an der Macht bleiben wird?

Ich glaube nicht, dass wir die Macht haben, die Situation vor Ort radikal zu ändern, da wir keinen Einfluss auf Russland, auf den Iran und auf die Türkei haben. Vielleicht wäre es anders, wenn es eine riesige weltweite Anti- Kriegsbewegung gäbe, die diese Mächte zum Abzug auffordern würde, aber wir befinden uns nicht in dieser Situation. Aber es gibt Dinge, die wir tun können. Eines ist sicher, dass es für die Syrer sehr wichtig ist, sichtbare Solidarität zu erleben, da sie sich völlig verlassen fühlen, verleumdet, ständig beleidigt werden, etc.. Dies ist etwas sehr Traumatisches für die Syrer. Es gibt auch Maßnahmen, die wir ergreifen oder unterstützen können.
Zum Beispiel ist die Situation der Flüchtlinge hier in Europa eine dramatische Situation, und wir sollten alles tun, um uns mit ihnen zu organisieren und sie zu unterstützen. Wir sollten uns auch jedem Versuch widersetzen, die Beziehungen zum Regime zu normalisieren, was zunehmend der Fall zu sein scheint. Wir sollten die syrischen Bemühungen unterstützen, das Assad-Regime zur Verantwortung zu ziehen; es gibt derzeit einige sehr spannende Initiativen.
Die Arbeit zur Frage der Gefangenen ist von entscheidender Bedeutung, es gibt eine große Kampagne mit dem Namen “Familien für die Freiheit”, die von syrischen Frauen angeführt wird, inspiriert von der Bewegung der Mütter für die Verschwundenen in Argentinien und einer ähnlichen Bewegung im Libanon, und die die Freilassung der politischen Gefangenen fordert. Es gibt auch die Frage der humanitären Hilfe, die Frage des Zugangs der humanitären Organisationen zu diesem Gebiet ist eine Frage, bei der wir uns hier Gehör verschaffen können und müssen, denn die Situation an Orten wie Idlib oder auch in Nordost-Syrien ist verzweifelt.

ANMERKUNG: Das Interview mit Leila al-Shami wurde am 5. November 2019 in der ‚ZAD von Notre-Dame-desLandes‘ im Rahmen des Programms ‚Sortir du capitalisme“ durchgeführt und erschien im Original auf Lundi Matin. Die deutsche Übersetzung stammt Sebastian Lotzer und wurde uns zur Verfügung gestellt.
Den englischsprachigen Blog von Leila gibt es hier: Englischsprachiger blog von Leila: https://leilashami.wordpress.com/

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