Damaskus umgeht Umsetzung des 10.-März-Abkommens
Politiker:innen in Syrien beklagen, die Interimsregierung setze das 10.-März-Abkommen nicht um. Als Gründe sehen sie Druck von Außen und die Angst vor Dezentralisierung. Das Abkommen stelle allerdings die Chance einer umfassenden politischen Lösung dar.
Mehrere Politiker:innen in Syrien beobachten, dass die syrische Übergangsregierung in Damaskus die Umsetzung des Abkommens vom 10. März aufgrund von Druck von außen und der Befürchtung, dass das Abkommen die Dezentralisierung verstärken könnte, hinauszögere. Das Abkommen, so die Volksvertreter:innen, sei jedoch eine Chance für eine umfassende politische Lösung –, wenn Damaskus sich zur unverzüglichen Umsetzung seiner Bestimmungen verpflichte.
In der syrischen Politik werden immer mehr Fragen laut, warum die Übergangsregierung die Umsetzung des Abkommens vom 10. März 2025 hinauszögert, das zwischen Mazlum Abdi, Generalkommandant der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD), und Ahmed al-Scharaa, dem Chef der selbsternannten Übergangsregierung, unterzeichnet wurde.
Kurz vor Fristablauf noch immer kaum Fortschritte
Monate nach dem Abkommen, das das Ende des laufenden Jahres als endgültige Frist für die Umsetzung festlegt, sind nur geringe Fortschritte zu verzeichnen. Die Übergangsregierung in Damaskus hat noch keine konkreten Schritte unternommen, um die Kernbestimmungen des Abkommens zu erfüllen: die Einbeziehung aller Syrer:innen in den politischen Prozess, die Gewährleistung der verfassungsmäßigen Rechte der kurdischen Gemeinschaft, die Durchsetzung eines Waffenstillstands und die Schaffung der Voraussetzungen für die Rückkehr von Vertriebenen.
Es wurden keine nennenswerten Maßnahmen zur Integration der zivilen und militärischen Institutionen Nord- und Ostsyriens in die Staatsverwaltung verzeichnet, da politische und administrative Hindernisse die Arbeit der entsprechenden Exekutivkomitees behindern.
Sorgen vor erneuten Spannungen
Dieses langsame Tempo der Übergangsregierung hat in politischen und zivilen Kreisen Fragen aufgeworfen. Viele glauben, dass anhaltende Verzögerungen die Spannungen wieder aufflammen lassen und die Aussichten auf Stabilität im Land gefährden könnten.
Vor diesem Hintergrund führte die Nachrichtenagentur ANHA eine Reihe von Interviews mit Politiker:innen und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens über das Abkommen vom 10. März und die Gründe für die Herausforderungen bei seiner Umsetzung.

Das Abkommen entspricht nicht den Interessen der Türkei
Sherin Dawoud Abbas, Mitglied des Diplomatiebüros der Demokratischen Grünen Partei, legte die von ihr hinter den Verzögerungen vermuteten Gründe klar dar: „Das Abkommen wurde bisher aufgrund mehrerer Faktoren nicht umgesetzt, darunter vor allem die Einmischung der Türkei in die Entscheidungen der Übergangsregierung, da das Abkommen die Sicherung der Rechte aller Komponenten vorsieht, was den Interessen der Türkei zuwiderläuft.“
Sie fügte hinzu, dass die Übergangsregierung die Umsetzung aus zwei Hauptgründen verzögert: „Erstens will sie sich vor der internationalen Gemeinschaft beweisen, und zweitens versucht sie, Zeit zu gewinnen, um der Revolution ihren Kern zu nehmen.“

Gravierende Folgen für die Zivilbevölkerung
Fahd al-Sheikhan, Vertreter des Stammes al-Sadah al-Sheikhan, hält das Abkommen für eine wesentliche politische Chance für Syrien. Auch er sieht Druck von Außen als einen entscheidenden Faktor für das Zögern der Übergangsregierung in der Umsetzung: „Das Abkommen vom 10. März stellt eine wichtige Chance für das Land dar, einen positiven Wendepunkt zu erreichen. Leider verzögert die Übergangsregierung in Damaskus weiterhin die Umsetzung aufgrund interner und externer Faktoren, darunter der Einfluss ausländischer Staaten auf ihre Entscheidungsfindung.“
Seiner Ansicht nach habe diese Verzögerung „zu den aktuellen Unruhen in Homs sowie zu früheren Ereignissen in der Küstenregion und in Suweida geführt“. Er betonte: „Die Übergangsregierung muss die Umsetzung des Abkommens beschleunigen, da es eine Lebensader für Syrien darstellt.“
Al-Sheikhan sieht insbesondere in der Umsetzung dezentraler Strukturen große Chancen für das Land, vor allem, weil diese die demographische Vielfalt Syriens würdige. Demgegenüber befürchte die Interimsregierung in Damaskus, „dass ihre Herrschaft geschwächt wird, da sie einen Ansatz verfolgt, der fast identisch mit dem zentralistischen System der Baath-Partei ist, das alle Macht unter ihrer Kontrolle konzentriert. Unterdessen ist ein dezentralisiertes System angesichts der ethnischen, nationalen und religiösen Vielfalt Syriens die beste Option für das Land.“

Dezentralisierung als Chance
Die Realisierung des Abkommens vom 10. März habe direkte Auswirkungen auf den innersyrischen Dialog zwischen den QSD und der Übergangsregierung, ist sich auch Sivan Ebo, Mitglied des Armenischen Sozialrats, sicher. Nach dem Abkommen sei jedoch eine „Ausweichhaltung“ der Übergangsregierung zu beobachten gewesen, die der Rat auf deren „Befürchtungen hinsichtlich der Forderungen der Völker Nord- und Ostsyriens“ zurückführt.
Die Demokratische Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien (DAANES) stelle seit nunmehr 14 Jahren ihre Fähigkeit unter Beweis, „ein erfolgreiches demokratisches und dezentrales Modell zu präsentieren, das allen Komponenten ihre Rechte gewährt und ihnen ermöglicht, sich selbst zu regieren“. Dies stelle, so Ebo, eine grundlegende Veränderung für Syrien dar.
Auch die Armenierin urteilt: „Die Regierung befürchtet den Verlust ihrer zentralisierten Autorität, während das von der Autonomen Verwaltung vorgeschlagene System einen demokratischen Fortschritt für ganz Syrien darstellt.“
Breite Proteste gegen Unsicherheit und Ausschluss
Inmitten dieser politischen Stagnation kam es in Syrien kürzlich zu weit verbreiteten Demonstrationen in Teilen der Küstenregion. Die Demonstrierenden forderten die Einführung eines dezentralisierten Systems, das eine breitere Beteiligung aller Bevölkerungsgruppen an der Verwaltung der Angelegenheiten des Landes gewährleisten würde, sowie die Beendigung der Entführungen und Morde in der Region und des anhaltenden Sicherheitschaos, unter dem die lokale Bevölkerung leidet.
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