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Mazlum Abdi: Die Integration der QSD würde Syrien Stabilität bringen

Mazlum Abdi: Die Integration der QSD würde Syrien Stabilität bringen (Interview Teil I)

Der QSD-Generalkommandant Mazlum Abdi spricht im Interview mit MA über die Lage in Nord- und Ostsyrien, den Dialog mit Damaskus, die Rolle der USA und die Bemühungen um kurdische Einheit.

Interview mit dem Generalkommandanten der QSD
 
ANF / REDAKTION, 23. Nov. 2025.

Nord- und Ostsyrien zählt mit seiner strategischen Lage, seinem Reichtum an natürlichen Ressourcen und seiner vielfältigen Bevölkerungsstruktur zu den zentralen Konflikt- und Verhandlungszonen des Nahen Ostens. Die Region steht sowohl im Fokus regionaler Akteure als auch der internationalen Diplomatie. Beim Treffen zwischen US-Präsident Donald Trump und dem Präsidenten der selbsternannten syrischen Übergangsregierung, Ahmed al-Schara, am 10. November in Washington war die politische Zukunft Nord- und Ostsyriens eines der zentralen Themen – ebenso wie die Frage, welche Rolle die Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) in einem möglichen Integrationsprozess spielen sollen.

Auch die Beziehungen zwischen der Autonomieverwaltung von Nord- und Ostsyrien und der Regierung in Damaskus sowie die anhaltenden Spannungen mit der Türkei bestimmen weiterhin die politische Agenda. QSD-Generalkommandant Mazlum Abdi hat sich in einem Gespräch mit dem Journalisten Azad Altay (MA) ausführlich zur Lage vor Ort, zur Rolle der QSD im syrischen Staatsgefüge, zum Dialog mit Damaskus und Washington sowie zu den laufenden Bemühungen um eine stärkere kurdische Einheit geäußert. Er betont: Die Integration der QSD in die syrische Armee könne nicht nur die militärische Struktur des Landes stärken, sondern auch zu einer langfristigen Stabilisierung führen.


Bevor wir auf aktuelle Entwicklungen eingehen, möchte ich mit Ihrem Besuch in der Kurdistan-Region des Irak (KRI) beginnen. Gemeinsam mit Ilham Ehmed haben Sie an einem Forum in Duhok teilgenommen. Wie wurden Sie empfangen? Wie war die Haltung gegenüber der Delegation aus Nord- und Ostsyrien?

Wir waren bereits vor einiger Zeit zur Teilnahme an diesem Forum eingeladen worden und messen dem Besuch große Bedeutung bei. Aus unserer Sicht markiert er den Beginn einer neuen Phase. Die Teilnahme an einem solchen Forum in Duhok ist für Nord- und Ostsyrien von erheblicher Bedeutung. Wir gehen davon aus, dass dies ein Auftakt für einen neuen Abschnitt in unseren Beziehungen mit Südkurdistan ist und sich daraus weiterführende Kontakte entwickeln werden. Der Empfang war herzlich. Unsere Beziehungen zu unseren Brüdern und Schwestern in Südkurdistan sind natürlich gewachsen und positiv.

Sie haben auch wichtige Gespräche geführt, unter anderem mit dem PDK-Vorsitzenden Mesûd Barzanî und dem KRI-Präsidenten Nêçîrvan Barzanî. Ging es dabei nur um einen Höflichkeitsbesuch, oder wurden konkrete Themen erörtert?

Es war nicht das erste Treffen mit der Regierung der Region Kurdistan – vielmehr eine Fortsetzung früherer Kontakte. Es wurden viele aktuelle Entwicklungen besprochen. Es gab gemeinsame Themen von beiderseitigem Interesse. Die Frage der nationalen Einheit stand auf der Tagesordnung, dazu fanden intensive Konsultationen statt. Wir haben auch unseren Dialog mit der syrischen Regierung thematisiert und unsere Standpunkte ausgetauscht. Ein weiterer wichtiger Punkt war die Unterstützung Südkurdistans für Nord- und Ostsyrien. Generell ging es um Themen wie Frieden und Dialog im Nahen Osten, Fragen, die sowohl Nord- und Ostsyrien als auch das gesamte kurdische Volk betreffen. Insgesamt waren die Gespräche konstruktiv.

Wurde auch über die Öffnung des Grenzübergangs Sêmalka und die Beziehungen zwischen Nord- und Ostsyrien gesprochen?

Natürlich. Diese Themen sind regelmäßig Gegenstand unserer Gespräche. Es geht darum, die Beziehungen zu vertiefen, die Bewegungsfreiheit über die Grenze zu verbessern. Noch wichtiger ist jedoch die Rolle, die Südkurdistan beim Wiederaufbau Syriens spielen sollte – sowohl wirtschaftlich als auch im Bereich von Investitionen. Denn wir sind Nachbarn, und darüber hinaus verbindet uns familiäre Nähe. Nicht nur Südkurdistan, sondern auch die Kurdinnen und Kurden im Norden und in der Diaspora sollten beim Wiederaufbau Nord- und Ostsyriens eine aktive Rolle übernehmen – das war uns ein wichtiges Anliegen.

Wie war die Haltung Ihrer Gesprächspartner zu diesen Punkten?

Insgesamt positiv. Auch sie sehen den Bedarf und haben Bereitschaft zur Zusammenarbeit signalisiert.

Sie haben es zu Beginn bereits angedeutet: Die demokratische Einheit der kurdischen Parteien ist ein zentrales Thema. Im Mai haben Sie hierzu eine Konferenz organisiert. Wie ist der Stand der Einheitsbemühungen und inwieweit kamen diese auch bei Ihren letzten Gesprächen zur Sprache?

Es ist erfreulich, dass alle kurdischen Kräfte und politischen Organisationen die von Rêber Apo (Abdullah Öcalan) eingeleitete Friedensinitiative unterstützen. Auch auf der Konferenz wurde dies deutlich ausgesprochen – von allen Seiten. Unser Wunsch ist es, dass dies eine Grundlage für die Einheit aller Organisationen in Kurdistan bildet. Dieses Thema kam in all unseren Gesprächen zur Sprache. Wir konnten feststellen, dass sich alle Seiten grundsätzlich positiv dazu positionieren. Auch Vertreter des syrischen Kurdenrats waren bei der Konferenz anwesend. Wir haben über Wege gesprochen, wie sich die Einheit in Rojava weiter festigen lässt.

Ein Problem bleibt jedoch bestehen: Zwar wurde ein gemeinsames kurdisches Komitee gebildet, doch konnte es aufgrund der Haltung der syrischen Regierung nicht in den Verhandlungsprozess eintreten. Wir haben zahlreiche Anläufe unternommen, um das Komitee nach Damaskus zu entsenden, damit die kurdische Frage und insbesondere die Bestimmungen des 10.-März-Abkommens diskutiert und umgesetzt werden. Bisher ist das jedoch nicht gelungen – und das stellt ein Hindernis dar. Wir arbeiten nun daran, das Komitee organisatorisch weiter zu stärken. Unser gemeinsames Verständnis ist, dass dieses Komitee nicht nur an Verhandlungen teilnehmen, sondern alle Kurdinnen und Kurden in Rojava – sowohl im Inland als auch in der Diaspora – vertreten soll. Wir haben auch unsere Gesprächspartner in Südkurdistan gebeten, diese Initiative zu unterstützen. In der nächsten Phase erwarten wir, dass das Komitee eine aktivere Rolle übernimmt.

Warum lehnt Damaskus Gespräche mit dem Komitee ab? Welche Begründungen werden genannt?

Die angeführten Gründe sind aus unserer Sicht nicht überzeugend. Die syrische Regierung besteht darauf, zunächst militärische Fragen zu klären. Sie wollen die sicherheits- und militärpolitischen Dossiers zuerst lösen. Auch in Verwaltungsfragen verlangen sie Übereinkünfte. Ihre Position ist, dass man sich erst danach mit der Verfassung und der Regierungsbildung befassen könne. Wir halten diese Herangehensweise nicht für richtig, aber die Regierung beharrt darauf. Unsererseits möchten wir, dass in der nächsten Phase sowohl die kurdische Frage als auch andere Themen vorangebracht werden – und dazu gehört eben auch, sicherheits- und militärpolitische Fragen zu lösen.

Bevor wir näher auf die Gespräche mit Damaskus eingehen, möchte ich auf ein wichtiges internationales Treffen zu sprechen kommen. Beim Gespräch zwischen US-Präsident Donald Trump und dem Präsidenten der syrischen Übergangsregierung, Ahmed al-Schara, spielte Nord- und Ostsyrien eine zentrale Rolle. Im Anschluss trafen Sie sich mit Tom Barrack. Was wurde besprochen?

Die Details des Treffens zwischen Ahmed al-Schara und US-Präsident Trump im Weißen Haus wurden uns von Tom Barrack übermittelt. Soweit es uns berichtet wurde, verlief das Gespräch positiv. Das Thema Nord- und Ostsyrien sowie die Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) wurden von Trump direkt angesprochen. Die Antwort darauf fiel ebenfalls positiv aus. Man habe die Bereitschaft zur Lösung signalisiert und gute Beziehungen zu den QSD betont. Insgesamt gab es eine konstruktive Grundhaltung.

Auch der türkische Außenminister Hakan Fidan war anwesend. Nach unseren Informationen wurde mit ihm ebenfalls über das Thema gesprochen. Präsident Trump hat sich für eine friedliche Lösung durch Dialog ausgesprochen. Auch das wurde akzeptiert. Zudem wurden die Opfer und der Beitrag der QSD im Kampf gegen den IS angesprochen und gewürdigt.

Wurde Ihnen gegenüber auch etwas zur Haltung der Türkei gesagt?

Ja, auch das wurde uns mitgeteilt. Sowohl im Gespräch mit Präsident Trump als auch in den anschließenden Runden, an denen Hakan Fidan und die Außenminister dreier Länder teilnahmen, brachte die türkische Seite ihre bekannten Einwände vor. Wie üblich wurden Beschwerden über die QSD geäußert, etwa dass wir zu langsam bei der Umsetzung gewisser Vereinbarungen seien. Es gab auch andere kritische Punkte. Aber nach dem, was wir gehört haben, war der Ton diesmal weniger scharf. Es wurden keine Drohungen ausgesprochen, sondern eher Forderungen nach einer Lösung formuliert.

Wenn sich diese positiven Signale aus den Gesprächen in die Praxis übertragen ließen – welche Auswirkungen hätte das auf die Lage vor Ort?

Das Kernproblem besteht darin, dass in den Gesprächen oft konstruktive Dinge gesagt werden, diese aber in der Realität nicht umgesetzt werden. Das ist eines unserer größten Probleme. Nach dem Treffen in Washington erwarten wir nun konkrete Schritte. Es ist an der Zeit, dass den Worten auch Taten folgen.

Da aktuell auch militärische Fragen auf der Tagesordnung stehen und wir in der letzten Runde in Damaskus zu diesem Thema eine Einigung erzielen konnten, hoffen wir auf praktische Fortschritte. Auch wenn es in einzelnen Punkten noch Differenzen gibt, sind wir gewillt, Lösungen zu finden. Unser zentrales Anliegen bleibt aber die Beteiligung an einer Regierung bzw. einem Parlament sowie die Änderung der Verfassung. Auch dazu arbeiten wir aktiv. Es braucht Klarheit und Schritte in diese Richtung.

Die kurdische Delegation sollte nach Damaskus reisen, um gemeinsam mit anderen Bevölkerungsgruppen die Rechte der Kurd:innen in der künftigen syrischen Verfassung zu verankern. Denn das ist ein Bestandteil des 10.-März-Abkommens. Wie ist der Stand Ihrer Beziehungen zu Ahmed al-Schara? Nach dem Washington-Besuch hieß es, ein weiteres Treffen mit ihm sei geplant.

Wir haben Gesprächspläne. Eigentlich hätte ein Treffen mit ihm bereits vor seiner Washington-Reise stattfinden sollen, wurde dann aber auf die Zeit danach verschoben. Wichtig ist vor allem, dass sich die jeweiligen Verhandlungsteams direkt begegnen und gemeinsam an konkreten Themen arbeiten. Wir streben nun ein weiteres Dreiertreffen an – mit uns, Vertretern aus Damaskus und den USA. Die Delegationen könnten sich entweder in Damaskus oder an einem neutralen Ort treffen, um neue Schritte zu besprechen.

Ist ein Treffen an einem dritten Ort realistisch?

Ja, das ist eine Option und wird auch diskutiert.

Worauf konnten Sie sich in den bisherigen Gesprächen mit Damaskus konkret einigen?

Der wichtigste gemeinsame Punkt ist das Waffenstillstandsabkommen – eine der zentralen Bestimmungen des 10.-März-Abkommens. Seit der Einigung gilt eine Waffenruhe. Auch wenn es gelegentlich kleinere Vorfälle gibt, gibt es auf beiden Seiten den klaren politischen Willen, militärische Konfrontationen zu vermeiden und Konflikte durch Dialog zu lösen. Das hat sich bislang bewährt. In offiziellen Verlautbarungen wird außerdem auf eine respektvolle Sprache geachtet. Statt konfrontativer Rhetorik wird der Fokus auf eine friedliche Lösung gelegt – das ist ein positives Zeichen.

Obwohl es bislang keine offizielle Unterzeichnung gibt, haben wir uns beim letzten Treffen in Damaskus – an dem auch US-Vertreter beteiligt waren – auf bestimmte militärische Punkte verständigt. Es ging um Fragen der Beteiligung und um organisatorische Details. Auch wenn es hier noch offene Fragen gibt, besteht grundsätzliches Einvernehmen.

Was allerdings noch nicht gelöst ist, sind die wirklich grundlegenden Fragen: die Verfassung, die zukünftige Staatsstruktur – ob Syrien zentralistisch oder dezentral organisiert sein soll – sowie die Verankerung der Rechte der Kurd:innen und anderer Bevölkerungsgruppen in der Verfassung. Ohne diese Klärung ist eine umfassende Einigung nicht möglich.

Die Frage nach der Integration der Demokratischen Kräfte Syriens in die syrische Armee ist besonders umstritten. Sie haben auf eine Einigung in militärischen Fragen hingewiesen – wie soll diese Integration konkret aussehen? Werden sich die QSD auflösen?

Über solche Fragen äußern wir uns grundsätzlich nicht in der Öffentlichkeit. Was die eine oder andere Seite sich wünscht, ist Sache der Verhandlungen. Natürlich wurden immer wieder Details in den Medien diskutiert, aber wir halten es nicht für angemessen, militärische Angelegenheiten öffentlich zu kommentieren. Solche Fragen gehören an den Verhandlungstisch.

Allgemein lässt sich jedoch sagen: Die QSD sind ein militärisches Bündnis, das alle Bevölkerungsgruppen Nord- und Ostsyriens umfasst – und darüber hinaus Tausende Kämpferinnen und Kämpfer aus anderen Regionen. Seit über zehn Jahren arbeiten wir eng mit der internationalen Koalition zusammen. Wir haben bedeutende Erfahrung im Kampf gegen den IS gesammelt.

Die QSD sind derzeit die größte organisierte Streitkraft innerhalb Syriens. Ihre Integration sollte daher strukturiert und planvoll erfolgen. Das würde auch die syrische Armee stärken – sowohl durch die Erfahrung als auch durch die personelle Kapazität. Ich bin überzeugt, dass eine solche Einbindung Stabilität und Sicherheit bringen würde. Niemand sollte davor Angst haben – im Gegenteil, sie sollte als Chance gesehen werden. Wir wollen, dass die Leistungen und Opfer der QSD gewürdigt werden und nicht umsonst gewesen sind. Unsere Kämpfer:innen haben viel geopfert. Es ist unser Ziel, dass sie in angemessener Form in eine künftige nationale Armee integriert werden – mit einer klar definierten Rolle. Alles Weitere sind Detailfragen, die in den Verhandlungen geklärt werden müssen.

Das 10.-März-Abkommen enthält viele Punkte. Welche Hindernisse stehen einer Umsetzung derzeit im Weg? Es gibt Stimmen, die Ihnen und der Autonomieverwaltung eine Blockadehaltung vorwerfen. Wie stehen Sie zu diesen Vorwürfen?

Wer uns solche Vorwürfe macht, hätte sie vielleicht zu Beginn der Gespräche äußern können. Jetzt sind sie nicht mehr haltbar – insbesondere nach den letzten Treffen in Damaskus. Jeder weiß, dass es vor etwa zwei Monaten ein geplantes Treffen in Paris gab. Die Autonomieverwaltung und auch die QSD waren bereit dafür. Die USA, Frankreich und Großbritannien kennen diesen Sachverhalt sehr genau. Unsere schriftlichen Vorschläge und Verhandlungsdokumente liegen ihnen allen vor. Sie wissen auch, dass wir stets rechtzeitig kommuniziert haben. Niemand kann behaupten, dass wir Prozesse verzögert hätten. Im Gegenteil – die Hürden liegen auf der anderen Seite. Und wir glauben, dass alle Akteure sich dessen bewusst sind. Niemand wirft uns ernsthaft vor, die Verhandlungen zu verschleppen.

Ich kann einige konkrete Punkte nennen: Wir haben unsere Positionen zu Verwaltungsfragen übermittelt – etwa zur Verwaltung der Region Deir ez-Zor, zu Fragen rund um Ölressourcen und Grenzübergänge. Auch unsere Vorschläge zur militärischen Integration der QSD und zur konkreten Einbindung in die syrische Armee haben wir schriftlich eingereicht – inklusive der Namen für bestimmte Positionen.

Bisher haben wir darauf jedoch keine Antwort erhalten. Wir warten entweder auf eine Rückmeldung oder auf einen neuen Gesprächstermin, um die Punkte im Detail zu diskutieren. Dabei sind auch vertrauensbildende Maßnahmen notwendig. Diese fordern nicht nur wir, auch die andere Seite erwartet sie von uns. Es geht beispielsweise um die Rückkehr der Bevölkerung nach Efrîn und Serêkaniyê. Während andere Syrer:innen inzwischen zurückkehren konnten, sind diese Regionen weiter verschlossen. Das ist ein Problem.

Ein weiteres Beispiel: Seit zwölf Jahren werden Kinder in Nord- und Ostsyrien außerhalb der staatlichen Kontrolle unterrichtet. In Regionen wie Idlib oder Azaz hat der syrische Staat inzwischen die dort ausgestellten Schulabschlüsse anerkannt – bei uns jedoch nicht. Auch das ist ein ungelöstes Problem. Vielleicht bestehen auf der Gegenseite ebenfalls Vertrauensdefizite. Wir wollen, dass praktische Schritte unternommen werden, um diese zu überwinden. Dafür braucht es klaren politischen Willen – den wir auf unserer Seite einbringen. Das erwarten wir auch vom Gegenüber.

Vertreter:innen der Autonomieverwaltung fordern immer wieder eine neue Verfassung für Syrien. Warum ist diese aus Ihrer Sicht so notwendig?

Diese Frage hat zwei Dimensionen. Erstens: In der aktuellen Verfassung gibt es mehrere Artikel, die im Widerspruch zum 10.-März-Abkommen stehen. Das habe ich auch bei meinem Treffen mit Ahmed al-Schara angesprochen. Diese Punkte müssen vorrangig geklärt werden. Die geltende Verfassung sollte entsprechend angepasst werden – so, dass alle gesellschaftlichen Gruppen in der Regierung vertreten sein können und insbesondere die Rechte der Kurd:innen verfassungsrechtlich verankert werden.

Zweitens geht es um die grundsätzliche Ausarbeitung einer neuen syrischen Verfassung. Das ist ein größerer Prozess, der Zeit braucht – vielleicht zwei oder drei Jahre. Dafür muss ein Ausschuss gebildet werden, in dem alle relevanten Kräfte vertreten sind. Dieser Ausschuss existiert bislang nicht. Unser Ziel ist es, dass alle gesellschaftlichen und politischen Strömungen Syriens in einem solchen Gremium mitarbeiten – damit eine Verfassung entsteht, die dem ganzen Land gerecht wird.

Haben Sie Kontakt zu anderen Bevölkerungsgruppen und Glaubensgemeinschaften in Syrien? Etwa zu Drus:innen, Alawit:innen oder anderen, die ebenfalls Forderungen an die Zukunft Syriens stellen?

Ja, wir pflegen Beziehungen zu allen Komponenten Syriens. Innerhalb der QSD sind alle vertreten: Drus:innen, Alawit:innen, Sunnit:innen, Ismailit:innen, Christ:innen – sie alle nehmen aktiv teil. Diese Zusammenarbeit ist nicht neu, sie reicht zurück bis in die Zeit des Assad-Regimes und besteht bis heute fort. Wir verstehen uns gegenseitig und es gibt auch Phasen, in denen wir gemeinsam politisch agieren.

Aber wir wünschen uns, dass diese Zusammenarbeit strukturierter verläuft. In den Gesprächen mit Damaskus setzen wir uns daher auch dafür ein, dass nicht nur Vertreter:innen Nord- und Ostsyriens teilnehmen, sondern auch etwa Delegierte der drusischen und alawitischen Communities einbezogen werden. Damit alle Akteure in Syrien miteinander sprechen – das ist die Voraussetzung für eine umfassende nationale Einigung. Leider ist das bislang nicht der Fall. Aber unsere Beziehungen zu allen Gruppen sind gut.

Und politisch gilt für uns: Was wir für Nord- und Ostsyrien fordern, soll auch für andere Regionen gelten. Wir setzen uns auch dafür ein, dass andere Bevölkerungsgruppen in diesen Gesprächen vertreten sind – damit ein ausgewogener, inklusiver Prozess entsteht.


Morgen im zweiten Teil des Interviews mit Mazlum Abdi:

Hat es Kontakte zwischen der Autonomieverwaltung und Abdullah Öcalan gegeben?

Wie groß ist die Bedrohung durch den IS weiterhin?

Steht ein möglicher Besuch Abdis in der Türkei bevor?

Welche persönlichen Eindrücke prägten ihn in der Zeit der Rojava-Revolution am stärksten – und wie oft überlebte er Attentate?

 

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