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Erdoğan kündigt Kommission für Friedensprozess an

 


Erstmals kündigt Erdoğan eine Parlamentskommission zur rechtlichen Begleitung des Friedensprozesses an. Während er das Ende der „Terrorplage“ beschwört, bleiben die strukturellen Ursachen der kurdischen Frage und des Konflikts unerwähnt.

Präsident spricht von „neuem Kapitel“ – strukturelle Fragen bleiben offen
 
ANF / ANKARA, 12. Juli 2025.

Auf dem traditionellen Fraktionscamp der AKP in Kızılcahamam bei Ankara hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan angekündigt, dass im Parlament eine Kommission zur rechtlichen Ausgestaltung des laufenden Friedensprozesses eingerichtet werden soll. Der Schritt erfolge im Nachgang zur symbolischen Waffenniederlegung der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und solle den Prozess auf institutionelle und gesetzgeberische Weise begleiten.

„Jetzt werden wir uns an einen Tisch setzen – nicht mit Waffen, sondern von Herz zu Herz, von Angesicht zu Angesicht“, sagte Erdoğan am Samstag zum Auftakt des dreitägigen Treffens. „Im Parlament werden wir die gesetzlichen Anforderungen diskutieren und mit einer möglichst breiten Beteiligung unterstützen.“

„Fehler der Vergangenheit haben Terror gefördert“

Erdoğan erinnerte in seiner Rede an die Anfänge des bewaffneten Konflikts mit der PKK und benannte auch staatliches Fehlverhalten als Teil des Problems. „Weiße Toros (diese Autos der Marke Renault waren die „Dienstfahrzeuge“ staatlicher Todesschwadronen wie dem Militärgeheimdienst JITEM, mit denen in den 80er und 90er Jahren tausende Menschen verschleppt und ermordet wurden, Anm. d. Red.), verschwundene Personen, das Gefängnis von Diyarbakır, niedergebrannte Dörfer und Mütter, die im Gefängnis nicht in ihrer Sprache mit ihren Kindern sprechen durften – das waren Fehler, die den Terror nicht beendet, sondern befeuert haben“, so der Präsident. Solche rechtswidrigen Methoden hätten der PKK Raum für Legitimation gegeben. „Für diese Fehler haben wir alle gemeinsam einen hohen Preis gezahlt“, sagte er.

„Ein neues Kapitel in der Geschichte der Republik“

Erdoğan bewertete die Niederlegung der Waffen durch die PKK als historischen Wendepunkt. „Mit dem gestrigen Tag hat die 47 Jahre andauernde Terrorplage hoffentlich ihr Ende gefunden. Unser Land beginnt, ein langes, schmerzvolles Kapitel voller Tränen zu schließen.“ Die militärischen Konflikte der vergangenen Jahrzehnte hätten der Türkei einen wirtschaftlichen Schaden von rund zwei Billionen Dollar verursacht. Nun solle ein neuer Abschnitt beginnen.

„Heute ist ein neuer Tag, ein neues Kapitel in der Geschichte der Republik. Die Tür zur ‚Türkei des Jahrhunderts’ steht weit offen.“ Erdoğan betonte, dass man „niemandem Angst machen“ wolle. „Was wir tun, tun wir für unser Land, für unser Volk, für unsere Unabhängigkeit und Zukunft“, so der AKP-Chef.

„Türken, Kurden, Araber – gemeinsam sind wir stark“

In seiner Rede hob Erdoğan auch mehrfach den Gedanken der nationalen Einheit hervor. „Wenn Türken, Kurden und Araber zusammenstehen, dann gibt es Türken, Kurden und Araber. Wenn sie getrennt marschieren, verlieren wir alle“, sagte er. „Wenn unsere Herzen vereint sind, fallen auch die Grenzen.“

Erdoğan kündigte an, den Dialog mit allen politischen Akteuren fortzuführen. „Wir haben mit Pervin Buldan, Mithat Sancar und dem verstorbenen Sırrı Süreyya Önder am selben Tisch gesessen. Es ist möglich, miteinander zu sprechen. Und es wird noch schönere Entwicklungen geben.“

„Kommission wird Waffenniederlegung begleiten“

Zum weiteren Fahrplan sagte Erdoğan, dass die gesetzliche Begleitung des Entwaffnungsprozesses der PKK durch das Parlament entscheidend sei. „Wir werden eine Kommission gründen, die die juristischen Bedürfnisse des Prozesses berät. Wir werden niemanden verletzen, sondern den Prozess sensibel und zügig begleiten.“ Zudem werde die Regierung „die Abgabe der Waffen mit größter Sorgfalt beobachten“. Das gemeinsame Ziel sei es, diesen neuen Weg im breiten Konsens mit der AKP, der MHP und der DEM-Partei weiterzugehen.

Kritik an verkürzter Problemdefinition

Auch wenn Teile von Erdoğans Rede überraschten, folgte prompt Kritik. Die offizielle Deutung des Konflikts in Regierungskreisen bleibe auf die „Terrorfrage“ beschränkt – ein Narrativ, das von der kurdischen Bewegung sowie Stimmen innerhalb der DEM-Partei und von Abdullah Öcalan immer wieder als unzureichend kritisiert wurde. Die Vorstellung, die kurdische Frage ließe sich auf eine Sicherheitsfrage oder die Entwaffnung der PKK reduzieren, verkenne die historischen, kulturellen und politischen Ursachen des Problems. Die PKK sei nicht Ursprung, sondern Folge jahrzehntelanger Repression, Assimilation und systematischer Verleugnung der kurdischen Identität. Solange grundlegende Fragen wie die verfassungsrechtliche Anerkennung der kurdischen Existenz, Sprache und Selbstbestimmung nicht geklärt seien, werde eine nachhaltige Lösung nicht erreicht, betonen Beobachter:innen. 

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