Bundesregierung weiß nichts über türkische Invasion in Südkurdistan
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Die Bundesregierung hat nach eigenen Angaben keine Erkenntnisse zu der türkischen Invasion in Südkurdistan und weiß nicht, ob deutsche Waffen dabei eingesetzt werden. Danach hatte die Bundestagsgruppe Die Linke gefragt.
Der Bundesregierung liegen nach eigenen Angaben keine über die Presseberichterstattung hinausgehenden Erkenntnisse zu der türkischen Invasion in der Kurdistan-Region im Irak vor. Das geht aus der Ende Mai erfolgten Antwort auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsgruppe Die Linke hervor. Die Gruppe Die Linke, darunter die Abgeordneten Clara Bünger, Dr. André Hahn und Gökay Akbulut, hatten in der Vorbemerkung zu ihrer Anfrage „Invasion der Türkei in Südkurdistan/Nordirak“ mitgeteilt:
„Seit dem 16. April 2024 hat die Türkei Medienberichten zufolge erneut eine militärische Invasion gegen das Gebiet Metîna in Südkurdistan/Nordirak gestartet. Bei den Angriffen kamen türkische Kampfflugzeuge, Artillerie und Drohnen zum Einsatz. Die türkische Armee führt seit den 1990er Jahren immer wieder grenzüberschreitende Angriffe auf kurdische Regionen sowohl auf irakischem Staatsgebiet in Südkurdistan/Nordirak als auch seit 2016 auf syrischem Staatsgebiet in Rojava / Nord- und Ostsyrien mit der offiziellen Begründung durch, die Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkerên Kurdistan – PKK) zu bekämpfen. Die Präsenz der kurdischen Freiheitskämpferinnen und Freiheitskämpfer in den dortigen Gebieten nimmt sie nach Auffassung der Fragestellerinnen und Fragesteller als Vorwand, um in Wahrheit die ethnische Säuberung von Kurdinnen und Kurden voranzutreiben. In den vergangenen Jahren intensivierte die AKP-Regierung unter dem Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan ihr Vorgehen in Südkurdistan/Nordirak durch groß angelegte Militäroperationen. Die letzten Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages aus den Jahren 2020 und 2022 hatten bei ähnlichen Militäreinsätzen im Nordirak eine Vereinbarkeit mit dem Völkerrecht bezweifelt.
Bei Erdoğans jüngstem Besuch im Irak am 22. April 2024 ging es Berichten zufolge nicht nur um die Vertiefung irakisch-türkischer Wirtschaftsbeziehungen, sondern auch um ein mögliches gemeinsames Agieren gegen die in der Region präsente PKK, die in Südkurdistan/Nordirak ihren wichtigsten Rückzugsort hat. Eines der (Wirtschafts-)Projekte zwischen der Türkei und dem Irak ist das Errichten einer neuen Handelsroute. Bei diesem Infrastrukturprojekt namens Iraq Development Road Project plant die Türkei, ein Straßen- und Eisenbahnnetz quer durch den Irak vom Persischen Golf bis in die Türkei zu bauen. Neben wirtschaftlichen Vorteilen dient die Route den Interessen der Türkei im Kampf gegen die PKK. Obgleich deren Hauptquartier nicht unmittelbar auf der Handelsroute liegt, nutzt die Türkei die Präsenz der kurdischen PKK-Guerilla auf irakischem Staatsgebiet, um unter dem Vorwand, die Handelsroute zu schützen, einen umfassenden Militäreinsatz schrittweise auszuweiten und setzt dabei auf die Unterstützung des Irak. Ein Knotenpunkt der Handelsroute befindet sich dabei zwischen dem von Êzîdinnen und Êzîden bewohnten Şengal-Gebirge (arab. Sinjar-Gebirge) und dem selbstverwalteten kurdischen Flüchtlingslager Mexmûr, welches seit 1998 existiert und Zufluchtsort für ca. 12 000 kurdische Geflüchtete aus der Türkei ist. Seit 2017 hat die türkische Luftwaffe insgesamt 14 Luftangriffe gegen das unter dem Schutz des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) stehende Lager durchgeführt. Vor fast genau zehn Jahren verübte der „Islamische Staat“ (IS) an der Religionsgemeinschaft der Êzîdinnen und Êzîden grausame Verbrechen, die der Deutsche Bundestag im Januar 2023 einstimmig als Genozid anerkannt hat. Obwohl noch im März 2023 die Bundesregierung erklärte, dass es nicht zumutbar sei, Êzîdinnen und Êzîden in den Verfolgerstaat abzuschieben, sind 2023 300 Personen in den Irak abgeschoben worden, weit mehr als in den Vorjahren. Berichten zufolge waren darunter auch Êzîdinnen und Êzîden, die genaue Zahl wird allerdings nicht statistisch erfasst. Nach Auffassung der Fragestellerinnen und Fragesteller drohen die derzeitigen Pläne der Türkei, die Sicherheit von Kurdinnen und Kurden und insbesondere die der Êzîdinnen und Êzîden erneut zu gefährden, weswegen auch ein von Pro Asyl geforderter Abschiebestopp umso dringlicher erscheint.“
„Im politischen Dialog mit türkischen Partnern“
Die Bundesregierung erklärt in ihrer Antwort, die Entwicklungen der politischen Lage und der Sicherheitslage in allen Teilen des Irak genau zu verfolgen und die „teils schwierige Sicherheitslage in Teilen von Nordirak mit Sorge“ zu sehen. Im „politischen Dialog mit türkischen Partnern“ werde betont, dass jegliche Maßnahmen der Türkei im Irak gegen die PKK mit dem Völkerrecht vereinbar sein müssten. Zudem setze sich die Bundesregierung im politischen Dialog mit der irakischen Zentralregierung und der kurdischen Regionalregierung dezidiert für die Belange der êzîdischen Gemeinschaft ein. Referenzpunkt sei dabei der Bundestagsbeschluss vom 19. Januar 2023 zur Anerkennung des Völkermord an den Êzîdinnen und Êzîden 2014.
„Sogenannte Selbstverwaltung“
Den Begriff „Südkurdistan“ lehnt die Bundesregierung als unvereinbar mit den international anerkannten Grenzen der Republik Irak ab. Die Selbstverwaltung in der Region Nordostsyrien – auch bekannt als „Rojava“ – sei zudem völkerrechtlich nicht anerkannt ist und die Bundesregierung unterhalte „keine offiziellen Beziehungen zur sogenannten ,Selbstverwaltung'“.
Keine Erkenntnisse zu türkischer Invasion
Auf Fragen zu den jüngsten türkischen Angriffen auf Südkurdistan/Nordirak heißt es in der Antwort: „Der Bundesregierung liegen keine über die Presseberichterstattung hinausgehenden Erkenntnisse zu den jüngsten türkischen Angriffen auf die Terrororganisation Partiya Karkerên Kurdistanê (PKK) in Nordirak vor. Generell gilt, dass die Türkei an ihrem Ziel festhält, die PKK in ihrem nordirakischen Rückzugsgebiet zurückzudrängen und zu bekämpfen. An Spekulationen über die Dauer der Militäroperation gegen die PKK in Nordirak beteiligt sich die Bundesregierung nicht.“
Kein Wissen über Einsatz deutscher Waffen
Die Bundesregierung weiß nach eigenen Angaben nicht, ob bei der türkischen Militäroperation auf Informationen, Logistik, militärisches Gerät oder sonstige Unterstützung aus Deutschland oder anderer NATO-Mitgliedstaaten zurückgegriffen wird und ob Rüstungsgüter aus deutscher Produktion zum Einsatz kommen.
Drohnenangriffe auf Şengal
Zu der Frage, wie die Bundesregierung den Einsatz von Drohnen seitens des NATO-Mitglieds Türkei in dem êzîdischen Siedlungsgebiet Şengal bewertet, heißt es in der Antwort, die türkischen Militäroperationen richteten sich nach ihrer Kenntnis „nicht gegen die êzîdische Gemeinschaft, sondern gegen aus türkischer Sicht mit der Terrororganisation PKK affiliierte Gruppierungen“. Tatsächlich verübt die Türkei seit 2017 gezielte Drohnenangriffe in der Region. Konkrete Ziele sind hierbei zumeist Einrichtungen, die unter dem Eindruck des IS-Genozids gegründet wurden – wie etwa das Verwaltungsgremium „Demokratischer Autonomierat Şengal“ (MXDŞ) oder die Selbstverteidigungseinheiten YBŞ und YJŞ. Bei den Todesopfern handelt es sich hauptsächlich um Menschen aus der Zivilbevölkerung – oftmals sind es Überlebende des Völkermords von 2014.
Foto: Von der türkischen Luftwaffe Anfang 2024 bombardiertes Dorf in Südkurdistan
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