Civaka Azad: Türkei größte Bedrohung für Êzîd:innen in Şengal
Civaka Azad fordert in einem Newsletter zum Genozid an der êzîdischen Gemeinschaft die deutsche Bundesregierung auf, der Anerkennung der IS-Massaker als Völkermord Taten folgen zu lassen.
Anlässlich des neunten Jahrestags des Genozids an der êzîdischen Gemeinschaft in Şengal betont das Kurdische Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit – Civaka Azad in seinem aktuellen Newsletter die internationale Verantwortung für die Menschen in der Region und sieht im Besonderen die deutsche Bundesregierung in der Pflicht, der Anerkennung der IS-Massaker als Völkermord durch den Bundestag im Januar Taten zum Schutz der Bevölkerung folgen zu lassen:
Am vergangenen Donnerstag jährte sich der Genozid und Femizid an der êzîdischen Gemeinschaft in Şengal (Sindschar) im Nordirak zum neunten Mal. Die traumatischen Bilder, die am 3. August 2014 nach dem kampflosen Einmarsch des IS in die Stadt um die Welt gingen, haben sich in das kollektive Gedächtnis der kurdischen Gemeinschaft und unzähliger Menschen weltweit eingebrannt. Männer wurden ermordet, Jungen als Kindersoldaten missbraucht, Frauen und Mädchen vergewaltigt und als Sklavinnen verschleppt. Mehr als 2.500 Menschen gelten bis heute als vermisst. Am Jahrestag des Völkermordes gedachten Menschen auf der ganzen Welt der Opfer. Auch in Deutschland fanden zahlreiche Gedenkveranstaltungen statt.
Der Genozid an den Êzîd:innen wurde mittlerweile von vielen internationalen Mächten anerkannt. Die Vereinten Nationen, die Europäische Union, die USA, Kanada, Frankreich, Armenien, der Irak, Belgien, die Niederlande, Deutschland und zuletzt auch Großbritannien haben die Verbrechen des IS in Şengal als Völkermord eingestuft. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock erklärte am 3. August über Twitter, dass die Weltgemeinschaft den Genozid an den Êzîd:innen nicht verhindert hat. Sie sprach von „unserer Verantwortung“, nun dafür zu sorgen, dass den Überlebenden Gerechtigkeit widerfahre. Doch dieser Verantwortung werden die internationalen Mächte bis heute nicht gerecht.
Türkei setzt die genozidalen Angriffe gegen die Êzîd:innen fort
Die Türkei stellt heute die größte Bedrohung für die êzîdische Bevölkerung in Şengal dar. Seit 2017 bombardiert der NATO-Staat regelmäßig die traumatisierten Bewohner:innen der Region. Die deutsche Bundesregierung schweigt zu diesen Angriffen, ebenso wie alle anderen Staaten, die den Völkermord anerkannt haben. Die Türkei behauptet, Ziele der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) in der Region zu bombardieren. Die PKK gehörte gemeinsam mit Kämpfer:innen der nordsyrischen YPG und YPJ zu den Akteur:innen, die kurz nach dem Vormarsch des IS in die Region intervenierten und ein noch größeres Ausmaß des Genozids verhinderten. Doch es ist nicht die PKK, die in Şengal von der Türkei angegriffen wird, sondern es sind die lokalen êzîdischen Verteidigungskräfte, die Aktivist:innen der Selbstverwaltungsstrukturen und êzîdische Würdenträger:innen. Laut einer Statistik, die vom britischen Politikmagazin „The New Statesman“ im Jahr 2021 veröffentlicht wurde, handelt es sich bei 60 Prozent der Opfer türkischer Angriffe in Şengal um Zivilst:innen. Im August 2021 bombardierten türkische Drohnen sogar ein Krankenhaus in der Region und ermordeten acht Menschen, darunter Krankenhauspersonal.
Die Angriffe der Türkei führen nicht nur zur Retraumatisierung der Bevölkerung, sondern unterbinden auch einen Wiederaufbau der Stadt und verhindern die Rückkehr der geflüchteten Êzîd:innen in ihre Heimat. Dr. Leyla Ferman, Leiterin der êzîdischen NGO „Women for Justice“, erklärt: „Diese Luftangriffe finden bei Tag und Nacht statt. Niemand weiß, was und wer als nächstes angegriffen wird. Ohne Sicherheit können die Menschen nicht nach Şengal zurückkehren. Und wie kann man Wiederaufbauprojekte unterstützen, wenn man nicht sicher sein kann, dass die Türkei diese Gebäude nicht angreifen wird?“
Internationale Verantwortung für die Menschen in Şengal
Vor diesem Hintergrund fordern der Zentralverband der Êzîdischen Vereine e.V. (NAV-YEK) und andere êzîdische Organisationen Unterstützung für die Menschen in Şengal und ein Ende der völkerrechtswidrigen Angriffe der Türkei auf die Region. Die deutsche Bundesregierung wird aufgefordert, der Anerkennung der IS-Massaker als Völkermord durch den Bundestag im Januar Taten folgen zu lassen.
Anlässlich des Jahrestages des Frauenmordes und Völkermordes in Şengal hat NAV-YEK vier klare Forderungen an die internationale Gemeinschaft gestellt, die wir im Folgenden wiedergeben:
„1. Der Genozid an den Êzîd:innen in Şengal wurde von der Bundesregierung und einigen anderen Staaten anerkannt. Der Genozid muss von der gesamten internationalen Gemeinschaft anerkannt werden und die Anerkennung dieser Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen muss Konsequenzen haben. Die Bundesregierung Deutschlands und alle anderen Regierungen weltweit müssen unverzüglich ihre islamistischen, am Genozid beteiligten Staatsbürger und deren Nachkommen zurückführen und im eigenen Staat zur Rechenschaft ziehen. Sie müssen vor ordentliche Gerichte gestellt und nach rechtsstaatlichen Prinzipien angeklagt und verurteilt werden.
2. Die internationale Staatengemeinschaft muss für all jene islamistischen Völkermörder, die nicht zurückgeführt werden können, ein internationales Tribunal nach dem Beispiel der Nürnberger Prozesse ermöglichen und diese Menschen gemäß Völkerrecht zur Verantwortung ziehen und bestrafen. Insbesondere das Al-Hol-Camp und das Camp Roj, beide in der autonomen Region Nord- und Ostsyrien, Rojava, beherbergen zehntausende radikale und hochgefährliche Islamist:innen, die eine Gefahr nicht nur für Êzîd:innen und den mittleren Osten, sondern auch für Europa und den Rest der Welt darstellen.
3. Der Aggressor, also das NATO-Mitglied Türkei muss seine dauerhaften Angriffe auf die Region Şengal unverzüglich einstellen und seinen Vernichtungsfeldzug gegen Êzîd:innen beenden. Nur dann, wenn die Verhältnisse in der Region befriedet sind, können die Menschen in ihre Heimat zurückkehren, diese wieder aufbauen und sich dort wieder ansiedeln.
4. Der Autonomiestatus Şengals sowie die Widerstands- und Fraueneinheiten von Şengal (YBŞ und YJŞ) müssen von der internationalen Gemeinschaft/Staatengemeinschaft anerkannt werden. Denn der Genozid hat schmerzlich gezeigt, dass Êzîd:innen nur dann weiter in Frieden, oder besser überhaupt existieren können, wenn sie in der Lage sind, sich selbst zu organisieren und sich selbst zu verteidigen.“
Diese Forderungen verdienen es, unterstützt zu werden. Nur durch ihre Erfüllung kann es eine sichere Zukunft für die Êzîd:innen in ihrer Heimatregion geben und können zukünftige Genozide unterbunden werden!
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