Als
laste auf Syriens Kurden nicht schon genug: In ihrer kriegsversehrten
Autonomieregion sichern sie die Energie- und Lebensmittelversorgung von
Millionen, kümmern sich auch um Flüchtlinge anderer Regionen, die vor
dem Damaszener Regime, marodierenden Banden oder dem „Islamischen Staat“
(IS) geflohen waren. In den Norden, wo im syrischen Chaos eine
säkulare, multiethnische Koalition unter kurdischer Führung vor zehn
Jahren die Autonomie ausrief.
Insbesondere der Türkei muss sich die kurdische Selbstverwaltung seitdem erwehren. Der
gesamte Westen hält das Nato-Mitglied nicht davon ab, regelmäßig
Syriens Kurden zu bombardieren. Die von Feinden umzingelte
Autonomieregierung bat die Staaten Europas, wenigstens deren einst zum
IS gereisten Dschihadisten abzuholen. Oder ein internationales, von den
UN überwachtes Tribunal vor Ort zu unterstützen. Vergebens.
Hannes Heine sprach
mit Vertretern der nordsyrischen Selbstverwaltung in Europa und trafim
Irak kurdische Kämpfer gegen den „Islamischen Staat“.
Hunderte
Männer und Frauen aus Deutschland waren meist ab 2014 zum IS gereist,
als dieser über 45.000 Quadratkilometer und wertvolles Raubgut verfügte.
Die überwiegend kurdischen Verbände der Autonomieregion besiegten den
IS 2019 als Territorialmacht, der Jubel weltweit war groß.
Die deutsche Regierung ist dreister als andere
Zehntausende
IS-Schergen aber überlebten – und die Kurden bleiben bis heute mit
ihnen allein. Mit Coronakrise, Klimawandel, Ukrainekrieg verblasste der
Syrienkonflikt im öffentlichen Bewusstsein Europas. Doch immer noch
leben circa 50 aus Deutschland eingereiste IS-Fanatiker – darunter
Murat, aber auch Martin – in Nordsyriens Camps.
Ja,
auch andere Staaten holten ihre Terroristen nicht ab. Doch die
Bundesregierung ist ein wenig dreister. Stets spricht das Auswärtige Amt
(AA) von der „sogenannten“ Selbstverwaltung in Nordsyrien, zu der man
wie selbstverständlich keine Beziehungen pflege – ganz so, als hielten
die Kurden nicht seit einer Dekade das Leben ihrer Region aufrecht, samt
Krankenversorgung, Schulen, Müllabfuhr.
Hinzu
kommt, dass sich Vertreter der Bundesregierung durchaus mit der
kurdischen Selbstverwaltung absprachen, woraufhin deutsche
IS-Anhängerinnen und deren Kinder nach Deutschland gebracht wurden. Auch frühere Kabinette redeten über diese Absprachen aus Rücksicht auf die türkische Staatsführung lieber nicht: Ankara
lehnt die Autonomie der syrischen Kurden ab, weil es ein Aufbegehren
türkischer Kurden fürchtet. In Berlin macht man sich diese Sorge
parteiübergreifend zu eigen.
Mit
den als hochgefährlich eingestuften IS-Männern will sich die
Bundesregierung ohnehin nicht befassen – sollen doch Syriens Kurden mit
ihnen leben. Als reichte das nicht zum moralisch-politischen Bankrott,
verteilt das AA auch noch Ratschläge: Angesichts der geplanten Prozesse
habe man „deutlich gemacht“, schreibt das AA auf parlamentarische
Anfrage, dass „die Einhaltung internationaler Standards bei derartigen
Verfahren von großer Bedeutung ist“.
Wenn der Bundesregierung
saubere Prozesse in einer armen, von Feinden umzingelten Region so
wichtig sind, warum hilft sie dann nicht bei der Aufarbeitung, holt
zumindest ihre eigenen Staatsbürger heim?
Die nächste Dschihadisten-Generation wächst heran
Syriens
Kurden wollen mit den Prozessen zuvorderst an das in Europa verdrängte
Problem erinnern. Denn wie immer die Verhandlungen ausgehen, sie werden
die Lage vor Ort kaum verbessern. Deutschland sollte diese Erinnerung
jedoch ernst nehmen – und es muss dafür noch nicht einmal die
wertorientierte, feministische Außenpolitik bemühen, sondern schlicht
Sicherheitserwägungen.
Die
mäßig ausgerüsteten Kräfte der Selbstverwaltung bewachen oft nur Ein-
und Ausgänge der riesigen Gefangenen-Camps und provisorischen
Haftanstalten, drinnen ist es für die kurdischen Einheiten zu
gefährlich: Tausende Dschihadisten sind mitunter gemeinsam an einem Ort
gefangen. Sie führen intern ein Terrorregime, mehrfach brachen IS-Trupps
aus, mordeten sich in die Freiheit.
Kurzfristig
sollte die Bundesregierung die syrischen Kurden von den deutschen
IS-Männern entlasten. Langfristig könnte sie der Selbstverwaltung
helfen, die dortigen Brutstätten des Dschihadismus nach einem
internationalen Tribunal aufzulösen – auch wenn das bedeutet, die
Autonomieregierung anzuerkennen und damit den Herrscher in Ankara zu
verärgern.
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