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Jina Amini war Kurdin, und das ist von Bedeutung


Jina Amini war eine kurdische Frau. Kurdische Frauen haben hart dafür gekämpft, dass sie im Leben nicht ausgelöscht werden; lassen wir nicht zu, dass ihre Geschichte im Tod umgeschrieben wird.

1852 wurde die 35-jährige Frauenrechtlerin Tahirih Ghoratolein durch das iranische Regime in Teheran aus zwei Gründen hingerichtet: Für ihren Bábí-Glauben und ihre Weigerung, den Hidschab zu tragen. Ihre letzten Worte waren: „Ihr könnt mich töten, wann immer ihr wollt, aber ihr könnt die Emanzipation der Frauen nicht aufhalten.“

Fast genau 170 Jahre später starb in derselben Stadt eine 22-jährige Frau, nachdem sie aufgehalten wurde von der islamischen Religionspolizei, die eine strenge Auslegung der Scharia durchsetzt. Ihr Vergehen war, dass sie den Hidschab nicht gemäß staatlicher Vorschriften trug. Als die Polizei sie festnahm, erklärte ihr Bruder, dass sie nicht aus Teheran kämen und die Vorschriften der Stadt nicht kennen würden. Die Familie war zu Besuch aus Seqiz (Saqqez), einer kurdischen Stadt im Westen, nahe der Grenze zu Irakisch-Kurdistan. Der Einwand des Bruders hatte keinen Erfolg: Die junge Frau wurde trotzdem auf eine Polizeiwache gebracht. Dort wurde sie nach Angaben ihrer Familie beschimpft und gefoltert, brach zusammen und wurde schließlich in ein Krankenhaus eingeliefert. Bei ihrer Ankunft stellten die Ärzte fest, dass sie bereits hirntot war. Zwei Tage später erlitt sie einen Herzstillstand und konnte nicht mehr wiederbelebt werden.

Der Name der Frau war Jina, was auf Kurdisch „Leben“ bedeutet. Jîn (und das Äquivalent Jiyan) sind etymologisch verwandt mit Jin, dem kurdischen Wort für Frau. Aber die Welt kennt sie nach ihrem Tod besser unter ihrem iranischen Namen: Mahsa Amini.

Kurz nach Aminis gewaltsamem Tod am 16. September brachen Proteste aus, die sich von den kurdischen Teilen Irans auf das ganze Land und die Welt ausweiteten. Die Demonstrant:innen skandierten die kurdische Parole „Jin, Jiyan, Azadî“ (Frau, Leben, Freiheit). Doch in den Nachrichten, vor allem in den westlichen, wird Jina Aminis kurdische Identität ausgelöscht - sie wird als iranische Frau beschrieben und ihr „offizieller“ persischer Name „Mahsa“ - der für ihre Familie und Freund:innen nur auf Staatsdokumenten existiert - ist derjenige, der in den Schlagzeilen steht. Aufrufe, „ihren Namen auszusprechen“, hallen im realen Leben und in den sozialen Medien wider, verschleiern aber unwissentlich Jinas wahren Namen und damit ihre kurdische Identität.

Zur Diskriminierung der Kurd:innen durch den iranischen Staat gehört das weit verbreitete Verbot kurdischer Namen, das viele Familien dazu zwingt, ihre Kinder offiziell mit nicht-kurdischen Namen anzumelden, während sie zu Hause ihre tatsächlichen Namen tragen. Dies wiederum fragmentiert die Erfahrung vieler Kurd:innen und schafft eine „offiziell-legale“ und eine „inoffiziell-illegale“ Identität. Die authentische ethnisch-kulturelle Identität verliert ihre Gültigkeit und ein Name, der nichts über die eigenen Wurzeln aussagt, identifiziert sie.

Demonstration in Rom

Einige Leute, die darauf bestehen, Jina Amini bei ihrem staatlich anerkannten Namen Mahsa zu nennen, argumentieren tatsächlich damit, dass sie ihr Leben in der Haft nicht verloren hat, weil sie Kurdin war, sondern nur, weil sie eine Frau war. Daher - so das Argument - sei es nicht notwendig oder von Bedeutung, sie bei ihrem kurdischen Namen zu nennen.

Der Iran ist ein antidemokratischer Staat, der auf einer brutalen Herrschaft beruht. Alle, die nicht Teil des Unterdrückungsapparats sind, sind in Gefahr - egal, welchem Geschlecht, welcher Religion oder ethnischen Gruppe sie angehören. Einige sind sogar noch gefährdeter als andere. Dies gilt insbesondere für Frauen und für Kurd:innen.

Es ist wahrscheinlich, dass die unmoralische „Sittenpolizei“, die Jina am 13. September an der Einfahrt zur Schahid-Haghani-Schnellstraße im Beisein ihres Bruders (der auch einen inoffiziellen kurdischen und einen offiziellen persischen Namen hat) festnahm, von ihrer ethnischen Identität wusste. Es ist möglich, dass sie deshalb besonders brutal behandelt wurde. Es ist wahrscheinlich, dass sie sich aufgrund ihrer Identität und ihres politischen Bewusstseins als kurdische Frau gegen die Beleidigungen und Beschimpfungen der Offiziere gewehrt hat.

Doch unabhängig davon, ob ihre kurdische Identität bei der Inhaftierung und der brutalen Gewalt, die zu ihrem Tod führte, eine wichtige Rolle spielte oder nicht, stellt das Verschweigen oder Verheimlichen ihrer ethnischen Herkunft eine Reproduktion der Kolonialpolitik des iranischen Regimes gegenüber dem kurdischen Volk dar. Diese Haltung ist ein Ausdruck der Macht und der Unterdrückung durch die Mehrheitsnation - selbst wenn sie von wohlmeinenden persischen Feministinnen geäußert wird.

Jina Aminis Tod hat kurdische Slogans, die die Befreiung der Frauen und eine Revolution fordern, in der ganzen Welt bekannt gemacht. „Jin, Jiyan, Azadî“ - und deren Übersetzungen - hallen durch Menschenmengen und Demonstrationen, die in Solidarität mit freiheitssuchenden Frauen im Iran stattfinden. Sogar in Afghanistan skandierten Frauen den Slogan, trotz Angriffen der Taliban auf die Demonstrant:innen.

Dieser Slogan hat seinen Ursprung in der kurdischen Frauenbefreiungsbewegung. Er verkörpert das Ziel der Bewegung: Die Befreiung des Lebens durch eine Revolution der Frauen. Er wurde erstmals am 8. März 2006 von kurdischen Frauen bei Versammlungen zum Internationalen Frauentag in der ganzen Türkei gemeinsam gerufen. Es folgte eine Zeit, in der jährliche Kampagnen patriarchale Denkweisen und frauenfeindliche Praktiken in der kurdischen Gesellschaft in Frage stellten. Diese Zeit des intensiven Kampfes gegen das Patriarchat gipfelte in der Revolution von Rojava vor zehn Jahren, am 19. Juli 2012, die den Slogan „Jin, Jiyan, Azadî“ über die Grenzen Kurdistans hinaus in die Welt schickte.

Die kurdische Frauenbewegung zielt nicht darauf ab, diesen Slogan zu monopolisieren, sondern ihn im Kampf für den demokratischen Konföderalismus der Frauen weltweit zu universalisieren. Dennoch sollten seine Wurzeln und sein Kontext anerkannt werden. Andernfalls laufen wir Gefahr, unsere Slogans aus dem aktiven Kampf zu nehmen und zuzulassen, dass sie ihre Bedeutung verlieren.

Bundesparteitag der Grünen

In Berlin haben Frauen der CDU/CSU - unter deren Regierung die kurdische Befreiungsbewegung am stärksten kriminalisiert wurde – mit Plakaten mit der deutschen Übersetzung von „Jin, Jiyan, Azadî“ gegen die Ermordung von Jina protestiert. Auch auf dem Bundesparteitag der Grünen posierten Bundesaußenministerin Annalena Baerbock und weitere Frauen mit dieser Parole.

Jina Amini war eine kurdische Frau. Kurdische Frauen haben hart dafür gekämpft, dass sie im Leben nicht ausgelöscht werden; lassen wir nicht zu, dass ihre Geschichte im Tod umgeschrieben wird.

 

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