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Statement von Feministinnen zum Ukraine-Krieg und Rojava


Die Feministische Organisierung „Gemeinsam Kämpfen! Für Selbstbestimmung und Demokratische Autonomie“ hat ein zweites Statement zur russischen Invasion in der Ukraine herausgegeben. Die Kampagne ruft zum Widerstand gegen den weltweiten Imperialismus auf.

Seit dem 24. Februar 2022 führt Russland einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Gegen diesen Krieg ist ein enormer Widerstand sichtbar, der alle gesellschaftlichen Schichten, Altersgruppen und Geschlechter umfasst. Viele Menschen sind auf verschiedene Weise dazu bereit, sich gegen die russische Besatzung zu verteidigen – sei es, indem Tausende protestierend den Weg der rollenden Panzer blockieren, Straßenschilder umstellen oder Friedenskundgebungen gegen die Besatzung durchführen, mit dem Aufbau von Unterstützungsstrukturen oder weiteren Formen der Selbstverteidigung.

Wie die Rolle feministischer und basisdemokratischer Kräfte in der BRD bei diesem Angriffskrieg aussehen sollte, darüber wird zurzeit viel debattiert. Viele post-sowjetische Linke, haben in ihren Beiträgen kritisiert, dass es zu wenig Auseinandersetzung mit russischem Imperialismus gäbe und dieser dementsprechend zu wenig ernst genommen werde. Das hat uns zu einer Evaluierung unseres ersten Statements bewegt, welches wir zwei Tage nach dem Beginn der russischen Invasion veröffentlicht hatten. Im Folgenden formulieren wir einige Gedanken, (Selbst-)Kritiken und Perspektiven zu den aktuellen Diskursen.

Die Selbstverteidigung der Bevölkerung und der Militarismus der Großmächte

Aktuell ist in Teilen der Linken in Deutschland eine große Zögerlichkeit zu spüren, klar Position gegen den russischen Imperialismus zu beziehen und auch gegen diesen vorzugehen. Möglicherweise ist es ein Reflex darauf, dass Deutschland und die NATO nun diesen Angriffskrieg nutzen, um sich selbst als Militärmacht auszubauen. Es wird staatlicherseits ein Bild gezeichnet, bei dem sich die NATO-Staaten im Kampf gegen Russland als Verteidiger der Demokratie darstellen. Als Reaktion auf die Kriegsrhetorik des Westens, legen linke Kräfte den Fokus auf den Kampf gegen die Kriegstreiberei des Landes, in dem sie selbst jeweils leben. Dieser Kampf ist angesichts der Militarisierung in der BRD zwar grundlegend, allerdings ist es ebenso grundlegend, dass darin eine klare Haltung und Praxis gegen den russischen Angriffskrieg zur Geltung kommt, sowie gegen den russischen Imperialismus als Teil des weltweiten Imperialismus – und seinen Auswirkungen.

Als Feminist*innen, die in der BRD leben, ist es besorgniserregend zu sehen, wie Deutschland sich als Militärmacht ausbaut und den Ukrainekrieg nutzt, um Ausgaben in Rekordhöhe für Waffen und Ausrüstung des eigenen Militärs – zudem in undemokratischer Weise – im Schnelldurchlauf zu beschließen. Eine zunehmende Militarisierung Deutschlands hat noch nie etwas Gutes bedeutet, schon gar nicht für die Bevölkerung in der Ukraine. Gleichzeitig wird mit der eigenen Aufrüstung suggeriert, man würde etwas gegen den Krieg unternehmen, wobei die deutsche Aufrüstung bei der Abwehr der russischen Besatzung keine Unterstützung darstellt.

Auch wenn NATO-Mitgliedsstaaten diesen Krieg nutzen, um davon zu profitieren und aufzurüsten, sollte nicht der Umkehrschluss stattfinden, dass eine Solidarität mit dem Widerstand gegen die russische Besatzung deshalb nur sehr zögerlich erfolgt. Die Ukraine lediglich als „Spielball“ zwischen den Blöcken NATO und Russland zu betrachten, wird dem eigenen Willen der Menschen vor Ort nicht gerecht. Es ist deshalb wichtig zwischen der Selbstverteidigung der Bevölkerung und dem Militarismus der Großmächte zu unterscheiden.

Damit einher geht, die Vielfalt der gesellschaftlichen Kämpfe vor Ort anzuerkennen und diese Kämpfe nicht einfach in Form der Machtblöcke „NATO“ oder „Russland“ zu betrachten.

 

 

Beispielsweise wäre es undifferenziert, die Maidan-Proteste einfach nur als „westlich“ abzutun. Einige Kräfte innerhalb dieser Bewegung orientieren sich dabei an Demokratien nach westlichem Vorbild, aber längst nicht alle. Und auch diejenigen, die sich an westlichen Demokratien orientieren, sind sich teils durchaus darüber bewusst, dass diese keine echte Demokratie darstellen, aber immerhin mehr Bewegungsspielraum für emanzipatorische Politik bietet als die russische Führung. Als weiteres Argument zur Abwertung der Demokratiebewegung wird angeführt, es gäbe sowohl bei den Maidan Protesten wie auch in der militärischen Verteidigung der Ukraine rechte Kräfte und Neonazis. Damit darf jedoch nicht der Wille einer vielfältigen gesellschaftlichen Bewegung abgewertet und den Rechten das Feld überlassen werden.

Wir begreifen uns als Internationalist*innen, somit als ein Teil der sozialen Bewegungen und basispolitischen Kämpfe weltweit, die ein gutes Leben ohne patriarchale, kapitalistische, rassistische, anthropozentrische und andere Dominanz- und Gewaltverhältnisse anstreben. Wir begreifen uns an der Seite von allen, die das imperiale Besatzungsbestreben Russlands abwehren und wollen dabei mit denjenigen in Verbindung treten, die nicht national-chauvinistische, sondern emanzipatorisch motivierte Perspektiven in dem Widerstand gegen die Besatzung haben.

Linke Kräfte in der Ukraine sind durch den aktuellen Kriegsumstand nun in der Situation, sich militärisch verteidigen zu müssen. Das bedeutet auch taktische Bündnisse mit denjenigen einzugehen, die sie in anderen Situationen nicht unterstützen würden, zum Beispiel staatliche Kräfte, die in der Lage sind, die russische Besatzung abzuwehren. Das betrachten viele linke Kräfte vor Ort momentan als notwendig, da die russische Invasion aktuell die akuteste Gefahr für die Gesellschaft in der Ukraine darstellt. Wenn wir uns mit diesen Kräften im Widerstand gegen die Besatzung verbinden wollen, gilt es eine Haltung zu entwickeln, bei der wir nicht erst alle taktischen Entscheidungen in Kontexten, die wir nur begrenzt begreifen können, gutheißen müssen, bevor wir unterstützend handeln. Dabei geht es auch darum sich einzugestehen, dass wir selbst gerade keine starke Antwort auf die aktuelle Situation in der Welt bieten können. Solange wir als selbstorganisierte, basisdemokratische, libertäre Kräfte nicht stark genug aufgestellt sind, sind taktische Bündnisse manchmal notwendig, um überhaupt zu überleben und dann perspektivisch unsere Verbindungen zu stärken. Wir sollten in unseren Analysen die Realitäten der sozialen Widerstandsprozesse miteinbeziehen, mit denen wir uns verbünden wollen, in Anerkennung der Mittel, die sie selber dafür wählen. Dabei ist zudem zu sagen, dass es keine einheitliche Vorgehensweise vor Ort gibt.

Es ist eine offene Frage, wie sich die Selbstverteidigung der Gesellschaft – und hier geht unsere Aufmerksamkeit vor allem in Richtung der selbstorganisierten Widerstandspraktiken – zwischen den imperialen Machtblöcken bewegen kann. In der Ukraine werden dahingehend momentan wichtige Erfahrungen gesammelt, auf die wir uns im gemeinsamen Kampf gegen Kapitalismus und Patriarchat, beziehen wollen.

Über die Sinnhaftigkeit, den Fokus auf die NATO zu legen

Putin hat schon lange betont, dass er die Existenz der Ukraine nicht anerkennt und die Besatzung der Ukraine hat schon vor acht Jahren auf der Krim begonnen. Seither herrscht Krieg in den Gebieten Donezk und Luhansk. Die Invasion vom 24. Februar ist ganz klar ein russischer Angriffskrieg. Die NATO hat zwar zur Eskalation beigetragen und nutzt die Situation, um massiv aufzurüsten und um Russland wirtschaftlich sowie militärisch zu schwächen, aber dennoch ist es in erster Linie ein Krieg, der von Russlands Regierung ausgeht.

Die linke Organisierung „Operation Solidarity“ agiert in der Ukraine gegen den russischen Angriffskrieg und äußerte: „Die Propagandisten des Kremls fabrizieren ein Bild von ‚Krieg zwischen NATO und Russland‘. Wie auch immer, sehen wir keine NATO hier. Stattdessen sehen wir russischen Imperialismus ‚in seiner Höchstform‘.“ Mit dem Zeigen auf die NATO erfolgt also der Versuch Russlands, die Ukraine militärisch zu besetzen.

Die Forderung „Nieder mit den Waffen“ (aus unserem vorigen Statement) soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir die Legitimität der Selbstverteidigung der Gesellschaften anerkennen. In diesem Fall ist „Nieder mit den Waffen“ insbesondere an die Aggressionsmacht Russland gerichtet. Auch durch Aussagen wie „Ringen um Kontrolle zwischen NATO und Russland“ wird verzerrt, von wem gerade die Aggression ausgeht. In unserem und vielen anderen Statements heißt es „Nieder mit der NATO!“, ohne dabei Vergleichbares in Bezug auf die Russische Föderation zu fordern, etwa „Nieder mit dem russischen Militär“. Ein bloßes Ende der NATO würde momentan nicht den Krieg in der Ukraine stoppen.

Jede imperiale koloniale Kraft zeigt auf die jeweils anderen ihrer Art, um ihr eigenes Handeln zu legitimieren. So verweist auch Putin auf die NATO-Osterweiterung als Bedrohung. Es ist kein Geheimnis, dass NATO-Staaten als wesentliche imperiale Akteure das Klima des Imperialismus weltweit mitbefeuern. Es erscheint für uns jedoch fraglich, ob die NATO-Osterweiterung der ausschlaggebende Grund für die Besetzung der Krim und den weiteren Einmarsch in die Ukraine ist. Außerdem stellt es keine Legitimation für eine kriegerische Invasion dar.

Putin stellte seit Ende letzten Jahres ein Ultimatum, mit dem die NATO sich aus Osteuropa zurückziehen und die Neutralität der Ukraine gewährleistet werden sollte – Forderungen, bei denen damit zu rechnen war, dass diese von den NATO-Ländern nicht erfüllt werden würden. Somit hatte Russland letzten Endes einen geeigneten Vorwand, um die eigene Imperialmacht kriegerisch auszubauen. Auch bereits die Entwicklungen der letzten Jahre machen Russlands Imperialinteressen als Grund für den Krieg deutlich. Den Sturz der pro-russischen Regierung durch die Maidan-Proteste und die bei den Protesten überwiegende Forderung nach Demokratisierung hat Russland direkt mit der Annexion der Krim beantwortet. Wir lesen das als ein Zeichen an alle weiteren Länder mit pro-russischen Regierungen, dass jeglicher Widerstand gegen den Einfluss des Kremls mit einer blutigen Niederschlagung beantwortet werden wird, so wie auch in Belarus, Syrien oder Kasachstan. Putins Berater Wladislaw Surkow veröffentlichte 2021 einen Artikel, in dem er erklärte, dass „das Imperium expandieren muss, da es sonst untergehen wird“.¹ Auch weitere Narrative des Kremls deuten vor allem auf ein nationalistisches Großmachtbestreben Russlands hin.

Ein übermäßiger Fokus auf die NATO, bei einem Angriffskrieg, der von Russland ausgeht, verschiebt den Fokus von der Aggression und dem Beginn des Krieges durch Russland. Gleichzeitig verfolgt die NATO ebenfalls imperiale Interessen und stellt sich durch den Angriff Russlands nun in heuchlerischer Weise als Lösungskraft dar. Während wir versuchen sollten, den russischen Imperialismus nicht zu relativieren, indem wir in erster Linie über die NATO sprechen, erachten wir es als notwendig die angebliche Lösungskraft der NATO zu verneinen. Bei der NATO geht es in erster Linie um eigene Interessen und nicht um Moral, also bietet sie keine Lösung für den Aufbau einer solidarischen-demokratischen Gesellschaft. Das Gewalt- wie das Interventionsverbot und andere friedensfördernden internationale Normen als Bestandteile der Charta der Vereinten Nationen werden von NATO-Staaten immer wieder nicht geachtet. Wenn nun von diesen Staaten die Solidarität gegen den geächteten Angriffskrieg hochgehalten wird, so ist das Ausdruck einer scheinheiligen Doppelmoral. Als eins von vielen Beispielen sei der türkische Angriffskrieg in Südkurdistan und auf die Selbstverwaltung in Nord- und Ostsyrien und im Şengal genannt, welcher von Deutschland und anderen NATO-Mitgliedsstaaten konkret unterstützt wird. Es ist besonders scheinheilig, dass ausgerechnet Erdogan sich als Vermittler im Ukraine-Krieg darstellt und währenddessen selbst eine militärische Großoffensive in Kurdistan gestartet hat. Eine besondere Heuchelei besteht darin, den Krieg in der Ukraine zum Vorwand zu nehmen, um die militärische Macht in den NATO-Ländern auszubauen, was der ukrainischen Bevölkerung aber in keiner Weise hilft.