Völkermord an den Jesiden: Die vergessenen Opfer deutscher IS-Terroristen?

 

Frauen trauern an einem Grab. | AFP
MDR exklusiv,


 15.02.2022.

Tausende Jesiden sind durch IS-Terroristen verschleppt, versklavt oder ermordet worden. Der Terrormiliz hatten sich auch viele Deutsche angeschlossen. Doch bislang sind nur wenige dafür zur Rechenschaft gezogen worden.

Von Arndt Ginzel und Matthias Pöls, MDR

Versklavt, vergewaltigt oder ermordet. Dieses Schicksal haben Tausende Jesiden durch die Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) erlitten. Unter den Tätern waren auch deutsche IS-Kämpfer. Mehr als 1000 Deutsche hatten sich dem IS angeschlossen. Doch bislang ist kaum einer von ihnen rechtlich belangt worden, und die Bundesregierung hat die Taten an den Jesiden bis jetzt nicht als Völkermord anerkannt.

Am Montag ist erstmals über eine mögliche Anerkennung durch den Bundestag vor dem Petitionsausschuss des Bundestages diskutiert worden. Die Petition hatte der Co-Vorsitzender der Stelle für Jesidische Angelegenheiten in Berlin, Gohdar Alkaidy, eingebracht. Diese war binnen vier Wochen mehr als 50.000 Mal unterzeichnet worden. "Die Jesiden werden seit Jahrhunderten aufgrund ihrer Identität diskriminiert, entrechtet und systematisch verfolgt", sagte Gohdar Alkaidy. Das reiche bis ins 21. Jahrhundert hinein.

Ihr Besitzer hieß al Almani - der Deutsche

Am 3. August 2014 begann für viele Jesiden ein Martyrium. An diesem Tag stürmte die Terrormiliz die jesidischen Gebiete im Nordirak. Für die IS-Ideologen sind die Angehörigen der ethnischen Minderheit nur Ungläubige. Mehr als 5000 Jesiden starben, 7000 wurden verschleppt - so wie Norshan.

Das damals 14 Jahre alte Mädchen war in die Hände eines deutschen IS-Terroristen geraten. Acht Jahre später hat das ARD-Magazin FAKT die junge Frau getroffen, sie wohnt in einer kleinen Stadt im Nordirak. Die Grausamkeiten des deutschen IS-Terroristen hätten keine Grenzen gekannt: "Er hat mich ständig mit einem Stock geschlagen und meine Hände gefesselt. Wenn er mich vergewaltigte, klebte er mir meinen Mund zu."

Ihr Besitzer, so erzählt Norshan, habe Ahmed geheißen, sein Kampfname sei Shams Aldien Al Almani gewesen. Al Almani bedeutet übersetzt: der Deutsche. "Oft sprach er übers Internet mit seiner Familie in Deutschland. Seine Mutter sagte: Komm zurück", sagt Norshan. Sie hätten sich auf Arabisch unterhalten, deshalb habe sie es verstehen können. Ahmed habe geantwortet: "Ich komme nicht zurück. Ihr seid Ungläubige."

Nach drei Monaten weiterverkauft

Nach drei Monaten habe der deutsche IS-Mann sie weiterverkauft. Der neue Sklavenhalter war wieder ein Terrorist aus Deutschland. Kämpfername: Abu Wagas Al Almani. "Er war verheiratet und noch schlimmer als die anderen", sagt Norshan. Neben allen anderen Gräueltaten habe er sie auch zum Islam zwingen wollen. Deshalb ist ihr Arm mit faustgroßen Narben überzogen. "Ich habe einen Bruder, der vermisst wird. Deshalb hatte ich seine Initialen auf den Arm tätowiert", sagt Norshan. Die IS-Männer hätten gesagt, das sei im Islam nicht erlaubt und hätten versucht, es mit Salzsäure herauszuätzen.

Norshan hat die Sklaverei überlebt, doch sie ist schwer traumatisiert. Die jesidischen Opfer in den irakischen Flüchtlingscamps haben bislang kaum Gerechtigkeit erfahren, sagt Katharina Dönhoff. Die Berlinerin engagiert sich mit dem Verein "Hand für Hand" seit Jahren im Nordirak mit Bildungsprojekten für die jesidische Minderheit.

Immer wieder erzählten ihr die Menschen von den Verbrechen der IS-Kämpfer: "Es gibt viele Deutsche, die 2014 dorthin gegangen sind und ich kenne einige Fälle, die auch Mädchen, Jungs oder Frauen in Gefangenschaft hatten." Die Opfer seien der Auffassung, dass der Völkermord anerkannt werden müsse und die Täter dann auch strafrechtlich verfolgt werden sollten. "Das brauchen die Opfer. Es ist auch eine Sicherheitsfrage", sagt Dönhoff. Denn diese wüssten nicht, was die Täter derzeit tun, ob sie etwa frei in Deutschland leben. "Das kann nicht sein."

Grenzen der deutschen Ermittlungsbehörden

Gemessen an der Vielzahl der IS-Verbrechen an den Jesiden ist die Zahl der Verfahren überschaubar. Ende 2022 wurde ein ehemaliges IS-Paar verurteilt. Es soll für den Tod eines jesidischen Kindes verantwortlich sein. Das liegt auch an den Grenzen der deutschen Ermittlungsbehörden im Irak und Syrien. "Das sind Länder, mit denen es keine Übereinkommen zur Durchführung von Rechtshilfe gibt", sagt der Kölner Rechtsanwalt Gottfried Reims. Er hat als Nebenkläger ein Verfahren mit Bezug zu IS-Terror begleitet. So sei es faktisch unmöglich, etwa auch nur Zeugen in diesen Ländern zu vernehmen.

Tausende ausländische IS-Kämpfer und ihre Frauen sind bis heute in irakischen Gefängnissen und Gefangenenlagern in Syrien interniert, für deutsche Behörden kaum zugänglich. Zudem verharmlosen offenbar viele ehemalige IS-Mitglieder ihre eigene Rolle im Terrorstaat. Ende September hat FAKT die aus Bremen stammende ehemalige IS-Frau Jalda A. in einem Lager in Syrien getroffen. Auf die Frage, ob sie sich irgendwie schuldig gemacht habe in ihrer Zeit beim IS, antwortete sie: "Ich habe nichts gemacht. Ich war zu Hause. Ich hatte nur Angst und wollte weg." Sie sei einfach nur Hausfrau gewesen.

IS-Frau soll Beihilfe zum Völkermord geleistet haben

Einen Monat später durfte Jalda A. mit ihren Kindern nach Deutschland ausreisen. In der vergangenen Woche teilte die Bundesanwaltschaft mit, sie habe einen neuen Haftbefehl erlassen: Jalda A. werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Beihilfe zum Völkermord vorgeworfen. Demnach soll sie auch in ihrer dritten Ehe mit einem IS-Kämpfer eine Jesidin nahezu täglich geschlagen und getreten haben, nachdem ihr Mann sie vergewaltigt hatte. "Auch zwang die Beschuldigte die Gefangene dazu, nach islamischem Ritus zu beten. Dies alles diente dem erklärten Ziel des IS, den jesidischen Glauben zu vernichten", heißt es in der Mitteilung des Generalbundesanwaltes.

Die Opfer deutscher IS-Kämpfer sind indes auf sich gestellt. Ende 2017 konnte Norshan der Sklaverei entkommen. Bis heute ist die junge Jesidin von Ermittlungsbehörden nicht befragt worden. Einen Wunsch hat Norshan geäußert: "Es gibt Zigtausende Mädchen hier, die in Angst zu Hause leben." Diejenigen, denen das angetan wurde, lebten wie in einem Gefängnis. "Wir wollen Gerechtigkeit. Die uns das angetan haben, sollen zur Rechenschaft gezogen werden, nicht mit Gewalt, sondern legal nach Recht und Gesetz."

Anerkennung des Völkermordes wichtig für Traumabewältigung

Bei der Anhörung im Bundestag erläuterte der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Tobias Lindner, warum die Bundesregierung aktuell nicht von einem Völkermord spreche. Es sei Aufgabe von Gerichten, dies anhand der anerkannten Definitionen zu prüfen. Für die Wertigkeit der Urteile sei es ein Problem, wenn die Bundesregierung im Vorfeld von Völkermord rede. Es sei gute Regierungspraxis, dies erst im Nachgang der Urteile zu tun. Der Ausschuss will sich erst in einer späteren Sitzung entscheiden, wie mit der Petition weiter verfahren wird.

Grünen-Abgeordneter Tobias Lindner | dpa

Laut Staatsminister Lindner sind die Bedingungen für die Anerkennung eines Völkermords noch nicht erfüllt. Bild: dpa

Die geforderte Anerkennung des Völkermordes durch den Bundestag bringe die Toten nicht zurück, sagt Gohdar Alkaidy. Aber: "Für die Traumabewältigung durch das Volk der Jesiden wäre das wichtig." Damit würde aber auch der Druck auf den Irak wachsen, den Jesiden eine Stimme zu geben und ihnen die Rückkehr in ihre Heimat zu ermöglichen.

Über dieses Thema berichtete FAKT am 15. Februar 2022 ab 21:45 Uhr im Ersten.

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