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Eine Woche Bildungscamp im Frauendorf Jinwar


„Das Camp hat uns für unser Leben einen neuen Weg gezeigt", erklärt eine Teilnehmerin der Bildungsreihe im Frauendorf Jinwar. Eine Woche lang haben junge Frauen gemeinsam diskutiert und das kommunale Leben in Jinwar geteilt.

Im Frauendorf Jinwar in Nordsyrien hat eine Bildungswoche für junge Frauen unter dem Namen „Qampên Jineolojî a Xwebûn Dewreya Şehîd Malda" stattgefunden. Das Camp wurde Malda Kûsa gewidmet, sie hatte am Aufbau des Forschungszentrums für Jineolojî im Kanton Hesekê mitgearbeitet und die Arbeiten dort koordiniert. Am 4. Mai 2019 war sie in der Region al-Hol auf dem Nachhauseweg durch eine Mine, welche vom „Islamischen Staat” (IS) gelegt worden war, getötet worden.

Bereits 2018 hat in Jinwar ein Jineolojî-Camp stattgefunden. Dieses Mal lag der Schwerpunkt der Bildungsreihe auf dem Thema „Xwebûn" (Selbstwerdung, Selbstsein), dabei ging es um Fragen wie: Wie werden wir wir selbst? Wie können wir als junge Frauen in dieser Gesellschaft einen starken Willen haben und gute und ethische Entscheidungen treffen?

Baran Rojhilat war Teilnehmerin des Camps und hat bereits an anderen Seminaren zu Jineolojî teilgenommen: „Wir können sagen, dass eine große Revolution in Rojava stattgefunden hat, die als Frauenrevolution bekannt geworden ist. Eines der wichtigsten Themen, welche bereits am Anfang diskutiert wurde, ist Xwebûn, Selbstwerdung oder Selbstsein. Xwebûn ist in diesem Kontext und auf dieser Grundlage das wichtigste Thema, welches in dieser Revolution kennengelernt, verstanden und gelebt werden muss. Vor allem für die Jugendlichen, die jungen Frauen, egal welcher Herkunft. Diese Thematik ist für alle Menschen, egal an welchem Ort, nicht nur hier in Rojava und auch nicht nur für die Jugendlichen und die Frauen, von großer Bedeutung. Solange wir uns nicht nicht selbst kennen, können wir unsere Probleme nicht verstehen. Und solange wir unsere Probleme nicht erkennen und verstehen, können wir weder unsere Umgebung unterstützen noch eine Revolution erfolgreich führen und uns selbst befreien. Gerade in dieser jetzigen Situation unter dem physischen und psychischen Druck in der Form eines Spezialkrieges auf das Denken und die Psyche der Menschen wurde das Camp in Jinwar organisiert. Das Camp dauerte sieben Tage. Die Teilnehmerinnen waren zwischen 15 und 25 Jahre alt und sind aus verschiedenen Dörfern und Städten gekommen."

Neben der Auseinandersetzung mit „Xwebûn" gab es Seminare zu Themen wie digitale Gewalt, revolutionäre Kultur, Anatomie, Familie und Heirat und zu Ethik und Ästhetik.

Das Camp hat uns für unser Leben einen neuen Weg gezeigt"

Die Jineolojî-Camps haben einen ganzheitlichen Bildungsansatz. „Das Camp hat uns für unser Leben einen neuen Weg gezeigt. In den Seminaren haben nicht nur diejenigen gesprochen, die das Seminar vorbereitet haben, sondern wir haben gemeinsam diskutiert und uns gegenseitig ergänzt. Außerdem haben wir andere Methoden ausprobiert, um uns selbst besser ausdrücken zu können, wie beispielsweise Theater, Gesang oder Geschichten vorlesen und erzählen", erklärt Rozîf Ehmet, eine der Teilnehmerinnen des Camps.

Darüber hinaus gab es an den Nachmittagen auch Workshops wie zum Beispiel Fahrradfahren, Schwimmen und Taekwondo. Die Teilnehmerinnen haben auch an den alltäglichen Arbeiten der Bewohnerinnen von Jinwar teilgenommen, es wurde gemeinsam Brot gebacken, Unkraut gejätet und die Bäume gegossen. Dadurch haben die jungen Frauen auch das kommunale Leben der Frauen und Kinder von Jinwar kennengelernt. So wurden sie selbst Teil eines Beispiels für eine alternative Lebensform, in der Frauen Entscheidungen treffen und auf der Grundlage geteilter Prinzipien wie gegenseitigem Respekt, Solidarität und Teilen ihr Leben gemeinsam gestalten.

„Einige von der Teilnehmerinnen haben das erste Mal an Seminaren teilgenommen, haben zum ersten Mal gemeinsam mit anderen außerhalb ihrer Familie zusammengelebt. Wenn die jungen Frauen auf ihr eigenes Leben schauen, dann können sie sehen, dass die Dinge, die wir diskutiert haben, sehr eng mit ihrem eigenen Leben zusammenhängen.

Natürlich haben die Diskussionen – vor allem den jüngeren Teilnehmerinnen – auch Schwierigkeiten bereitet, denn durch die Seminare und die Diskussionen sind Widersprüche entstanden. Aber bei denen, bei denen Fragen und Widersprüche entstehen, kann auch ein Wandel stattfinden. Es ist auch notwendig, dass wir das, was wir gelernt haben, fühlen und leben, ins Praktische umsetzen und damit Einfluss auf unser Umfeld, unsere Familie und unsere Gesellschaft ausüben. Die jungen Frauen haben ein Alter erreicht, in dem sie selber anfangen können zu bestimmen, ihre Meinung zu sagen, und es entstehen auch eigene Wünsche.

Das Ziel dieses Camps ist, die ersten Schritte zu machen, kleine Entscheidungen zu treffen, weiterzugehen, um danach größere Entscheidungen zu treffen; sich selber kennenzulernen, eine Persönlichkeit zu entwickeln, sich selber definieren zu können, und nicht auf jemanden, sei es die Familie, die Eltern oder später auf den Ehemann, warten zu müssen. Es geht darum, Entscheidungen für das alltägliche Leben, für die eigene Entwicklung, für die eigene Bildung zu treffen und die eigenen Notwendigkeiten zu erkennen, ein selbstbestimmtes Leben aufzubauen, eine Frau mit Willen und Kraft zu werden, denn hier findet eine Revolution statt.

Deswegen sind all diese Themen in diesem Alter sehr wichtig, weil die jungen Frauen darüber nachdenken. Wir sprechen über all diese Themen, damit sie sich selber bewusst und klar werden können, was sie tun. Wir sagen nicht, ihr müsst auf diese Art und Weise leben oder ihr müsst das auf diese Art und Weise machen. Wir zeigen auf, was in Bezug auf ein ethisch und moralisches Leben wichtig ist. Die jungen Frauen können mit diesem Wissen dann selber bewusst Entscheidungen treffen”, betont Baran Rojhilat.

Mit den Erfahrungen, die in der vergangenen Woche im Camp gesammelt werden konnten, wird die Bildungsreihe fortgesetzt. Insgesamt sollen acht Camps veranstaltet werden.

 

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