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Wie die nordostsyrische Autonomieverwaltung strukturiert ist



Das politische System in Nord- und Ostsyrien ist ein einzigartiges demokratisches Projekt, das in den letzten Jahren weltweit Beachtung gefunden hat. Die Autonomieverwaltung hat auf einer Sitzung ihre Projektplanung für 2020 festgelegt.


In Raqqa ist am Dienstag die zweitägige Jahreshauptversammlung der Autonomieverwaltung von Nord- und Ostsyrien zu Ende gegangen. An der Sitzung nahmen Vertreterinnen und Vertreter der Komitees und Büros der Autonomieverwaltung sowie Mitglieder des Demokratischen Syrienrats (MSD) teil.
Das politische System in Nord- und Ostsyrien ist ein einzigartiges demokratisches Projekt, das in den letzten Jahren weltweit Beachtung gefunden hat. Obwohl seine Wurzeln in jahrzehntelanger Organisation innerhalb der kurdischen Bewegung sowie in einer breiteren Kultur kollektiver sozialer Strukturen und einer vielfältigen Demografie liegen, nahm es erstmals 2012 konkrete Formen an, als die Menschen der Region, allgemein bekannt als „Rojava", das Assad-Regime vertrieben und ein System autonomer Selbstverwaltung einführten. Das politische System basiert auf den Prinzipien der Basisdemokratie, der Frauenbefreiung und der ökologischen Nachhaltigkeit. Die Strukturen des Systems - genannt „demokratischer Konföderalismus" - überträgt die Macht an lokale Einheiten, die sich bei Bedarf zu größeren Einheiten zusammenschließen. Das konföderale System beschreibt sich selbst als revolutionär und versucht, eine befreite, selbstverwaltete Gesellschaft zu etablieren. Ideologisch verwurzelt in den Schriften von Abdullah Öcalan, versucht es, den Sozialismus ohne den Autoritarismus der staatlichen Mechanismen durchzusetzen.
Projektplanung für das laufende Jahr
Auf der Sitzung in Raqqa wurden die politische Situation und die Arbeit des vergangenen Jahres ausgewertet. Für 2020 sollen die Schwerpunkte der Autonomieverwaltung auf folgende Tätigkeiten gelegt werden:
Die Organisierung der Autonomieverwaltung soll im Rahmen der Satzung vervollständigt werden.
Um die Arbeit der Institutionen zu vereinfachen und nachvollziehbar zu machen, werden künftig Rundschreiben verfasst.
Um die Probleme der Bevölkerung anzuhören und Lösungen dafür zu entwickeln, soll ein Schwerpunkt auf Volksversammlungen gelegt werden.
Der Mechanismus der Selbstverteidigungskräfte wird verstärkt und ihre Arbeit vereinfacht.
Anstatt an Fehlern hängenzubleiben, sollen Lösungsvorschläge in den Vordergrund treten.
Die lokale Medienarbeit soll verbessert werden.
Die Institutionalisierung der Stellen, die die Autonomieverwaltung nach außen repräsentieren, soll abgeschlossen werden.
Bei den Dienstleistungen werden Projekte zu den Themen Bildung, Gesundheit, Wirtschaft und Kultur bevorzugt.
Frauenprojekte werden gefördert.
Der Arbeit auf den Gefallenenfriedhöfen wird Bedeutung beigemessen, mit den Angehörigen von Gefallenen wird ein entsprechender Umgang gepflegt.
Der Kultur, dem Tourismus und historischen Bauwerken wird die notwendige Sorgfalt entgegengebracht. Angriffe auf historische Kulturgüter werden verfolgt und die Angreifer zur Rechenschaft gezogen.
Es werden Industrie- und Handelszentren gegründet.
Die Infrastruktur wird ausgebaut.
Das Trinkwasserproblem wird gelöst.
Die Probleme der Menschen in den Camps werden beobachtet und die Mängel nach Möglichkeit behoben.
Die bestehenden Sporteinrichtungen werden unterstützt, außerdem sollen neue Sporteinrichtungen und Kulturzentren für die Jugend gegründet werden.
Die elektronische Erfassung von zivilen Daten wird ausgebaut.
Für die Chancengleichheit von Waisen und Kindern mit Behinderungen sollen neue Einrichtungen entstehen.
Ein weiterer Schwerpunkt ist der Gesundheitsdienst. Renovierungsbedürftige Krankenstationen sollen renoviert werden, außerdem soll die technische Ausrüstung verbessert werden.
Die Autonomieverwaltung bekommt eine offizielle Internetseite.
Soziale Dienstleistungen sollen verbessert werden. Für eine Weiterentwicklung der Arbeit bekommt das Büro für soziale Dienstleistungen Unterstützung.
Es soll daran gearbeitet werden, Arbeitsplätze in der Region zu schaffen und die Versorgung der Bevölkerung mit grundlegendem Alltagsbedarf zu gewährleisten.
Die Anzahl der Bäckereien soll erhöht werden, damit der Brotbedarf gedeckt wird.
Es sollen Maßnahmen zum Schutz der Natur und gegen Umweltverschmutzung getroffen werden.
Um eine Ausbreitung der Wüstenflächen zu verhindern, sollen Bäume in trockenen Gegenden gepflanzt werden.
Die politische Organisation Nord- und Ostsyriens
Das politische System Nord- und Ostsyriens hat sich in den nunmehr fast acht Jahren seit den Anfängen der Autonomie in Efrîn, Kobanê und Cizîrê weiterentwickelt. Wie das Rojava Information Center in einer umfassenden Dokumentation ausführt, war eine wichtige Entwicklung das Wachstum des Territoriums, als die Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) mit Unterstützung der Internationalen Koalition gegen den IS bedeutende Gebiete von der Terrorherrschaft des IS befreite. Dadurch kamen die Regionen Minbic, Tabqa, Raqqa und Deir ez-Zor zu dem Gebiet hinzu, das unter dem demokratischen konföderalen System operiert. Nach einer Neuformulierung der bestehenden Strukturen wurde das derzeitige System im September 2018 angekündigt und ist damit knapp anderthalb Jahre alt. Es besteht aus drei großen Strukturen, die auf den Prinzipien der Dezentralisierung der Macht und der Föderation auf höheren Ebenen beruhen. Die drei Hauptstrukturen sind:
TEV-DEM
TEV-DEM wurde 2011 gegründet und bedeutet „Bewegung für eine demokratische Gesellschaft“. Sie ist ein Dachverband für Gewerkschaften, Berufsverbände und einige Organisationen der Zivilgesellschaft. TEV-DEM bietet praktische Unterstützung und sorgt dafür, dass die Stimmen der arbeitenden Bevölkerung in die politischen und administrativen Aspekte des konföderalen Systems einfließen. Sie fungiert als eine Art „Gegenmacht" zur Autonomieverwaltung und ist auf föderaler Basis von der lokalen bis zur interregionalen Ebene organisiert.
Demokratischer Syrienrat
Der Demokratische Syrienrat (MSD) wurde 2015 gegründet und ist das politische Dach, das den politischen Rahmen für die Lösung des syrischen Konflikts durch innersyrische Gespräche und die Übernahme diplomatischer Arbeit bildet. Im MSD sind politische Parteien, Vertreter der Zivilgesellschaft, der Autonomieverwaltung und Schlüsselpersonen vertreten.
Autonomieverwaltung Nord- und Ostsyriens
Die Autonomieverwaltung wurde 2018 gegründet. Sie baut das System der Kommunen und gewählten Räte in Nord- und Ostsyrien auf und ist für die Koordination zwischen den sieben Regionen verantwortlich. Sie basiert auf einem föderalen System von der kommunalen bis zur interregionalen Ebene.
Die Autonomieverwaltung ist durch gewählte Organe für die Verwaltung der sieben Regionen verantwortlich, während der MSD die politischen Parteien und die Zivilgesellschaft vertritt und darauf ausgerichtet ist, ganz Syrien zu einer föderalen, demokratischen, von Frauen geführten und multikulturellen politischen Einheit zu vereinen. Die Autonomieverwaltung kümmert sich um Themen wie Gesundheit, Bildung und Elektrizität, mit dem Ziel, dass diese Themen auf möglichst lokaler Ebene entschieden und kontrolliert werden.
Autonome Frauenstrukturen
Eine der Grundlagen des konföderalen Systems von Nord- und Ostsyrien ist das Prinzip der autonomen Frauenstrukturen. Dies bedeutet, dass jede Institution und Struktur des politischen und gesellschaftlichen Systems in Nord- und Ostsyrien eine Frauenstruktur parallel zur allgemeinen Struktur hat. Es gibt keine rein männlichen Strukturen. Alle Institutionen außerhalb der autonomen Frauenstrukturen werden von einer weiblichen und einer männlichen Ko-Vorsitzenden geleitet, und es gibt einen vierzigprozentigen Anteil für beide Geschlechter.
Neben den Frauenstrukturen wird auch der Jugend eine gewisse Autonomie zugestanden, die im Sozialvertrag verankert ist.

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