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Koca: Kriegspolitik führt zu Anstieg von Feminizid


Die Kriegspolitik und Wirtschaftskrise in der Türkei haben drastische Folgen für Frauen und hinterlassen auch bei Kindern ihre Spuren. Die gesellschaftliche Militarisierung ist auf dem Vormarsch, die Zahl der Feminizide steigt rasant.


In der Gesellschaft der Türkei lässt sich schon länger ein Anstieg von tödlicher Gewalt gegen Frauen beobachten, der sich durch alle Schichten zieht. Frauenrechtsorganisationen machen neben der Wirtschaftskrise vor allem die unsoziale und auf Krieg ausgerichtete Politik des Erdogan-Regimes für den beispiellosen Anstieg an Feminiziden verantwortlich. Frauen leben aufgrund des nationalistischen, militaristischen und sexistischen Klimas in einer Gewaltspirale aus sexueller und häuslicher Gewalt, wirtschaftlicher Unterdrückung und psychologischer Erniedrigung. Allein im letzten Jahr wurden in der Türkei mindestens 474 Frauen ermordet. In fast allen Fällen stammte der Täter aus dem engsten Bekanntenkreis. Zum Vergleich: 2013, als die Regierung Friedensgespräche mit der PKK führte, wurden 237 Frauen Opfer von Feminizid.
Die autoritäre Kriegspolitik der AKP-Regierung fördert geradezu über rechtliche und praktische Maßnahmen die gesellschaftliche Militarisierung und somit die soziale Praxis des Krieges im Alltag. So zirkulieren Millionen zum Großteil nicht registrierte Waffen, seit die Regierung nach dem Putschversuch im Sommer 2016 ihre Anhänger direkt ermutigte, sich gegen „Staatsfeinde“ zu bewaffnen, und den Erwerb von Waffenlizenz erleichterte. Strafen für den illegalen Besitz sind ohnehin gering und wirken nicht abschreckend. So hat mittlerweile jeder dritte Haushalt ein Gewehr oder eine scharfe Pistole.
Betül Koca
Auch sind es Frauen und ebenso ihre Kinder, die am stärksten von der Wirtschaftskrise beeinträchtigt werden. Die Bevölkerung ist spätestens seit dem Liraverfall und der Rezession verarmt, 2019 stieg die Arbeitslosigkeit auf einen Zehn-Jahres-Höchstwert an. Einerseits leiden Frauen unter der traditionellen Rollenverteilung von Mann und Frau, auf die die Regierung setzt. Das „schwächere Geschlecht” soll gebärfreudig sein, die Population vermehren und zu Hause bleiben. Als sittsame Ehepartnerin und sorgsame Mutter hat die Frau im Arbeitsleben nichts zu suchen. Stattdessen sollte sie ihrem Mann bedingungslos folgen, so die Auffassung der AKP.
Andererseits reicht ein Blick auf die Statistiken von Frauenorganisationen aus, um zu erkennen, dass die ökonomische Krise explizit mit patriarchalischer Gewalt verflochten ist. Der wirtschaftliche Druck führt oft zu häufigeren, brutaleren und gefährlicheren Misshandlungen. Untersuchungen haben gezeigt, dass sich Gewalt gegen Frauen verschlimmert, wenn Männer infolge der Wirtschaftskrise mit Entlassungen und Eigentumsverlusten konfrontiert sind. Konservative, patriarchale Geschlechternormen wurden unter der AKP de facto politisch legitimiert. Es herrscht eine Kultur der Straflosigkeit, die zur Verharmlosung von Gewalt und zur Nichtverfolgung der Täter führt.
Betül Koca von der Frauen-Koordination der Demokratischen Partei der Völker (HDP) geht noch weiter. Sie sagt: „Die Situation im Land ist im Prinzip das Spiegelbild der Kriegspolitik und der schmutzige Machenschaften der Regierung, in die sie bis zum Hals verwickelt ist. Frauen und Kinder sind sowohl von der schweren Wirtschaftskrise als auch ihren Folgen betroffen. Die kriegsartigen Auseinandersetzungen im Land selbst bezeichnen wir als Krieg gegen die gesellschaftliche Opposition. Primäres Ziel ist auch hier die Frau. Die Politik der AKP ist dieselbe wie die der dschihadistischen Milizen im Mittleren Osten. Es geht um die Vorherrschaft über Frauen, ihre Versklavung und ihre Verdammnis in die Dunkelheit. Sprache ist politisch, da ihr Gebrauch von gesellschaftspolitischer Relevanz ist. Die Kriegsrhetorik beeinflusst die Wahrnehmung der Situation in der Gesellschaft. Aus diesem Grund steigen Feminizid, Suizid, Kindesmissbrauch und Vergewaltigung in der Türkei an.”

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