Die Versklavung der Tiere und der Weg zur Freiheit
Revolutionäre Kämpfe stehen nur dann auf festem Boden, wenn sie das Leben in seiner Gesamtheit umfassen. Eine wahrhaft emanzipatorische Praxis muss nicht nur den Menschen, sondern auch Tiere und Natur einbeziehen.
Das Verständnis von Natur ist ein wesentlicher Bestandteil des Befreiungsprozesses der neuen Epoche. Angesichts der zerstörerischen Angriffe des Industrialismus – einem Kernmechanismus kapitalistischer Moderne, der auf die umfassende Aneignung und Auslöschung allen Lebens abzielt – wird der Schutz der Natur zu einem elementaren Akt des Widerstands. Eine kohärente und befreiende Praxis muss mit der Verteidigung des Lebens selbst beginnen. Dazu gehört die Fähigkeit, die Natur in ihrer Tiefe zu verstehen, sie in ihrer Bedeutung zu erfassen und ihren Platz im Gefüge des Lebens neu zu bestimmen.
Der kurdische Repräsentant Abdullah Öcalan verweist im „Manifest für Frieden und demokratische Gesellschaft“ auf genau diesen Zusammenhang, wenn er schreibt: „Der Mensch entwickelt seine Fähigkeit zur Bedeutungsgebung ursprünglich, indem er der Natur zuhört. Die erste Form des Lernens ist mimetisch, also nachahmend. Der Mensch hört auf die Natur und beginnt, durch dieses Hören selbst Natur zu transformieren. Doch im Verlauf der gesellschaftlichen Geschichte ging dieses Hören mehr und mehr verloren. Mit der Entwicklung symbolischer Sprache und analytischen Denkens hat der Mensch begonnen, die Natur durch seine eigenen Begriffe zu definieren – ein Prozess, der zu einer zunehmenden Entfremdung von der Natur führte. Diese Entfremdung erreichte ihren Höhepunkt in der kapitalistischen Moderne.“
Ohne eine grundlegende Neubestimmung des Verhältnisses zur Natur bleibt jede revolutionäre Bewegung unvollständig, ja sogar gefährdet. Was sich derzeit in den revolutionären Kämpfen in der Türkei und in Kurdistan beobachten lässt, ist auch Ausdruck dieser Leerstelle: Eine nicht auf einer fundierten Naturauffassung basierende Praxis kann nur in Sackgassen und Destruktivität münden. Revolutionen dürfen sich nicht allein auf den Menschen beziehen.
Die Ignoranz gegenüber nichtmenschlichen Lebensformen ist Ausdruck eines hegemonialen Geschichts- und Weltbildes, das von der kapitalistischen Moderne geprägt wurde und tief in die ideologischen Grundlagen verschiedenster Denktraditionen eingedrungen ist. Das Bild des Menschen, der sich selbst als Gott des Lebens versteht, findet sich nicht nur im Kapitalismus, sondern ebenso in realsozialistischen Konzepten wieder. Beide stellen den Menschen ins Zentrum ihrer Weltdeutung und degradieren alles außerhalb des Menschen zu bloßen Nebenakteuren – ein Zugang, der sowohl ihre Geschichtsauffassung als auch ihre ideologischen Konstruktionen grundlegend prägt.
Die Anfänge von Herrschaft: Vom Tier zur Klasse
Ein aufschlussreiches Beispiel für die anthropozentrische Prägung ideologischer Systeme lässt sich in dem in sowjetischen Grundschulen verwendeten Geschichtsbuch Wie der Mensch zum Menschen wurde von E. Segal und M. Il’in finden. Darin wird der Mensch als das alles beherrschende Wesen dargestellt, als Ursprung und Zentrum aller Entwicklungen. Diese Vorstellung hatte weitreichende Folgen: Der Mensch begann, alle bestehenden Systeme seiner eigenen Willkür zu unterwerfen. Der Drang, zu gestalten, mündete in den Wunsch zu beherrschen, und aus diesem Wunsch heraus entstanden die ersten herrschenden Klassen.
Der Wille zur Herrschaft richtete sich in der Frühzeit der Menschheit jedoch nicht zuerst gegen andere Menschen, sondern gegen Tiere. In jener Phase begann der Prozess der Domestizierung und Versklavung von Tieren. Der Mensch – lediglich eine von vielen Arten in einem gemeinsamen Lebensraum – entwickelte in dem Maße, wie er sich als überlegen empfand, die Tendenz, seine Umwelt in seinem Sinne zu verändern und zu kontrollieren. Damit ging ein fundamentaler Wandel einher: An die Stelle eines gleichberechtigten Zusammenlebens trat ein asymmetrisches Machtverhältnis zugunsten einer einzigen Spezies.
Die ersten Versuche, Macht auszuüben und Herrschaft zu etablieren, richteten sich also gegen die Natur und die Tiere. Sobald der Mensch lernte, bestimmte Tiere (jene, die sich seiner Kraft beugen ließen) zu kontrollieren und die natürlichen Bedingungen seinen Interessen unterzuordnen, wuchs auch sein Bedürfnis, über seinesgleichen zu herrschen. Dieser Wille zur Dominanz über andere Menschen prägte fortan den Gang der Geschichte – und beeinflusst die Struktur unserer heutigen Welt bis in ihre Grundfesten.
Vom Tier zur Frau: Die patriarchale Logik der Herrschaft
Die männliche Vorherrschaft über Tiere, die mit der Jagd begann, markiert den Ursprung des männlichen Herrschafts- und Kontrollwillens. Was zunächst als Dominanz über tierisches Leben auftrat, entwickelte sich bald zu einem umfassenderen Projekt der Kontrolle und Versklavung. Für den Mann, der sich einmal gegenüber Tieren durchgesetzt hatte, erschien es als logischer nächster Schritt, auch Frauen seiner Kontrolle zu unterwerfen. Der Wunsch, zu beherrschen, verlagerte sich vom Tierreich auf die innergesellschaftlichen Geschlechterverhältnisse – ein Prozess, dessen ideologische und institutionelle Grundlagen bereits in frühen patriarchalen Kulturen gelegt wurden. In dieser Dynamik wurzeln auch jene Gewalt- und Vernichtungsapparate, die heute als industrielle Tötungsmaschinen existieren.
Theorien, die den Menschen als von Natur aus fleischessend (carnivorus) begreifen, sind überwiegend Produkte jener Epoche, in der sich patriarchale Kulturen formierten. Abdullah Öcalan widerspricht dieser Sichtweise in seinem Werk Die demokratische Moderne ist das Zeitalter der Frauenrevolution und schreibt:
„Die Annahme, dass eine Gesellschaft ohne den Stil des Jägers oder Kriegers nicht überleben oder sich entwickeln könne, ist nicht zutreffend. Die Zahl der pflanzenfressenden Tierarten ist tausendfach größer als die der fleischfressenden. Nur wenige Arten ernähren sich von Fleisch. So ist die Dialektik: Das erste Tier hatte kein anderes Tier zu fressen, es ernährte sich von Pflanzen. Fleischverzehr ist als Abweichung zu betrachten. Würden sich alle Tiere gegenseitig auffressen, hätte sich niemals eine Vielfalt an Tierarten entwickeln können. Dies widerspräche auch den Grundprinzipien der Evolution. Eine Gesellschaft, die das Töten von Tieren und Mitmenschen – jenseits notwendiger Selbstverteidigung – zur kulturellen Praxis erhebt, wird ihre gesamte institutionelle und materielle Ordnung auf die Entwicklung von Kriegsmaschinen ausrichten.“
Abdullah Öcalan im Taubenhaus an der PKK-Parteischule in Damaskus, 90er Jahre © Serxwebûn
Der männlich dominierte Zugriff auf Natur und Leben, motiviert durch das Streben nach Herrschaft, mündete letztlich in einem umfassenden Ordnungsentwurf: jenem einer auf Machtakkumulation und totaler Kontrolle ausgerichteten Gesellschaft. Die heutige globale Krise – ein Zustand, in dem vom Menschen verursachte Zerstörung das ökologische Gleichgewicht an den Rand des Kollapses bringt – ist die direkte Folge dieser historisch gewachsenen, anthropozentrischen Ideologien. Ideologische Systeme, die den Menschen ins Zentrum stellen und andere Lebensformen lediglich als Beiwerk begreifen, geraten angesichts neuer gesellschaftlicher Herausforderungen ins Stocken. Ihre traditionellen Erklärungs- und Lösungsmodelle erweisen sich zunehmend als unzureichend.
Zivilisation und Zerstörung: Die Entfremdung des Menschen von der Natur
Abdullah Öcalan beschreibt die zerstörerischen Folgen des menschlichen Herrschaftsanspruchs mit eindringlichen Worten: „Die Tatsache, dass der Mensch gegenüber seiner eigenen Art zur Bestie geworden ist, zeigt sich auch in seiner Stellung als gefährlichstes Raubtier gegenüber der Natur. Kein anderes Lebewesen hat so viele Pflanzen- und Tierarten vernichtet wie der Mensch. Wenn er in diesem Tempo weitermacht, wird die Menschheit unweigerlich zu einer Art Dinosaurier, deren eigenes Aussterben unausweichlich ist.“
Die Geschichte der Menschheit ist nicht nur eine Geschichte von Fortschritt und Zivilisation – sie ist zugleich eine Chronik der Zerstörung, die aus dem Streben nach Macht und Dominanz hervorgeht. Die frühen Gemeinschaften waren noch von einem kommunalistischen Geist geprägt, von einem Denken in Teilhabe und Gleichwertigkeit. Doch mit dem Moment, in dem der Mann sich selbst als überlegene Kraft verstand und die Prinzipien gemeinschaftlichen Lebens zugunsten einer Hierarchie von Befehl und Unterwerfung aufgab, begann der lange Weg der systematischen Unterdrückung – ein Weg, der mit den frühen Hochkulturen Mesopotamiens seinen institutionellen Ausdruck fand und schließlich in der ideologischen Formation der kapitalistischen Moderne kulminierte.
Die Entdeckung des Feuers, der erste Verzehr eines erlegten Tieres – dies sind symbolische Wendepunkte einer Entwicklung, die letztlich zur weltumspannenden Logik der Macht führte, wie sie heute in allen politischen und ökonomischen Systemen wirkt. Selbst die materialistische Philosophie Friedrich Engels’, der in seiner Dialektik der Natur die Natur als strukturiertes System mit innerer Bewegung beschrieb, blieb in gewissem Sinne gefangen im Menschenbild der kapitalistischen Moderne. Auch hier wurden Lebenszusammenhänge durch Machtverhältnisse erklärt – die stärkere Instanz über der schwächeren.
Anstatt Natur und Leben neu zu definieren und sie ins Zentrum revolutionärer Theorie zu stellen, haben sich viele emanzipatorische Bewegungen – bewusst oder unbewusst – einem Fetisch des Menschen verschrieben. Nichtmenschliches Leben wird lediglich als dem Menschen untergeordnetes Element begriffen; die menschliche Vernunft gilt als höchste Instanz. Diese anthropozentrische Verzerrung führt dazu, dass viele revolutionäre Projekte über kurz oder lang in modifizierte, oft schwächere Varianten kapitalistischer Denkformen zurückfallen.
Die fundamentale Weigerung, die Welt mit all ihren Lebensformen, Verflechtungen und Relationen in ihrer Gesamtheit zu erfassen, zeigt sich auch darin, dass frühgeschichtliche Formen des Miteinanders als „primitiv“ oder „vorzivilisiert“ abgetan werden. So reproduzieren selbst viele sozialistische Bewegungen und Staaten ein Weltbild, in dem die Erde lediglich als Ressource zur Erfüllung menschlicher Bedürfnisse existiert, und werden auf diese Weise selbst zu Trägern von Zerstörung.
Speziesismus, Patriarchat und die Logik der Versklavung
Die Versklavung von Tieren erscheint nicht nur als Nebenprodukt menschlicher Entwicklung, sondern als eine zentrale Säule der patriarchalen Gesellschaftsordnung. Bereits in den frühesten Phasen männlicher Dominanz wurden die Grundlagen jener Herrschaft gelegt, die heute unter dem Begriff Speziesismus als eine Form des strukturellen Faschismus kritisiert wird. Die Instrumentalisierung von Tieren für menschliche Zwecke, ihre Unterwerfung durch Zwang, Schmerz und Gewalt, ist Ausdruck eines früh etablierten Machtwillens, der sich zunächst auf nichtmenschliches Leben richtete – und später auf alles „Andere“, das sich nicht dem patriarchalen System unterwarf.
Die sogenannte Domestizierung ist nichts anderes als ein zivilisierter Euphemismus für systematische Knechtschaft. Sie ist das Abbild des Menschen, wie ihn die kapitalistische Moderne hervorgebracht hat: ein Wesen, das Kontrolle als Daseinszweck begreift. Die Schaffung eines „Sklaven“ ist dabei mehr als ein funktionaler Akt – sie ist Symbol und Fetisch einer auf Dominanz basierenden Kultur. Vom ersten domestizierten Tier bis in die Gegenwart zieht sich eine ununterbrochene Linie, in der die Logik der Versklavung nicht nur über Tiere, sondern über die gesamte Gesellschaft ausgeweitet wurde – und maßgeblich zur Verrohung des Menschen selbst beigetragen hat.
Was als Herrschaft über Tiere begann, setzte sich in struktureller Gewalt gegen Frauen und gegen all jene fort, die außerhalb der hegemonialen Normen standen. Der Speziesismus ist daher nicht nur eine Form der Tierfeindlichkeit – er ist Ausdruck einer allgemeinen Herrschaftslogik, die alles Fremde, Abweichende, Nicht-Zugehörige unterwerfen will. Auch Eingriffe in Ökosysteme wie etwa der Bau des Ilisu-Staudamms bei Heskîf (tr. Hasankeyf) sind in diesem Sinne Manifestationen eines speziesistischen Weltbilds: Sie zerstören nicht nur menschliche Lebensräume, sondern auch die Existenzgrundlage zahlloser Tier- und Pflanzenarten. Speziesismus darf daher nicht auf die Beziehung zwischen Mensch und Tier reduziert werden. Er ist ein umfassendes Herrschaftsparadigma, das sich gegen das Leben selbst richtet.
Die Dynamik der Versklavung, die einst mit der Domestizierung begann, setzte sich fort, als der Mensch jene Tiere, die er nicht kontrollieren konnte, in Käfige sperrte, und sie so in Symbole des Schreckens verwandelte. Die Einkerkerung dieser Tiere unter Zwang diente nicht allein der Kontrolle des Tierreichs, sondern auch der Disziplinierung des Menschen. In dieser Logik sind Zoos keine neutralen Orte der Beobachtung, sondern architektonische Manifestationen einer autoritären Ordnung: Sie spiegeln eine Welt, in der das Beherrschen zum Normalzustand erhoben wurde, und in der Gehorsam durch das Zurschaustellen von Gefügigkeit erzwungen wird.
Zoos als Spiegel autoritärer Systeme
Die Grundidee hinter zoologischen Gärten ist nicht bloß die Zurschaustellung von Tieren, sondern die bewusste Umformung ihres Wesens. Tiere, die sich der direkten Unterwerfung entziehen, werden durch Gefangenschaft ihrer Freiheit beraubt, in künstliche Abhängigkeit versetzt und ihrer natürlichen Umwelt entfremdet. Der Mensch zwingt sie zur Anpassung, um Gehorsam zu erzwingen – nicht nur im Umgang mit Tieren, sondern auch symbolisch gegenüber anderen Menschen. Die Käfige dienen dabei als visuelle Warnung: Wer sich nicht fügt, endet hinter Gittern. So entsteht eine erzieherische Funktion, die über das Tier hinausreicht und auf die Disziplinierung der Gesellschaft selbst zielt.
Diese Logik lässt sich historisch nachzeichnen: In der Kolonialzeit wurden in Ländern wie Großbritannien auch Menschen in Käfigen zur Schau gestellt – insbesondere Angehörige von Bevölkerungen aus den besetzten Gebieten. Die kolonialen Aussteller inszenierten sie als „Fremde“ und „Primitive“ und präsentierten sie der eigenen Bevölkerung, um die Machtverhältnisse sichtbar zu machen. So wurde beiden Seiten – den Kolonisierten wie den Kolonisierenden – eine zentrale Botschaft vermittelt: Gehorsam ist die einzige Überlebensgarantie im Angesicht absoluter Herrschaft.
Der Philosoph John Sanbonmatsu kommentiert dieses Phänomen mit klaren Worten: „Im Laufe der Geschichte gab es viele destruktive menschliche Kulturen und Zivilisationen, aber nur der Kapitalismus hat sich global und systematisch als Feind allen nichtmenschlichen Lebens gezeigt. Anders gesagt: Der Kapitalismus ist die höchste Form des Speziesismus, seine idealtypische oder vollkommen verkörperte Ausprägung – und damit auch seine zerstörerischste.“
Sanbonmatsus Analyse bringt auf den Punkt, was in der Praxis der Tiergefangenschaft, in Zoos wie in kolonialen Ausstellungen, sichtbar wird: Eine strukturelle Gewalt, die sich aus dem kapitalistischen Grundprinzip der Kontrolle und Verwertung allen Lebens ableitet – und deren Logik sich sowohl auf Tiere als auch auf Menschen anwenden lässt, sobald sie nicht ins System der Verwertbarkeit und Unterordnung passen.
Das Gehege als Gesellschaftsmodell
Abdullah Öcalan beschreibt in seinem Werk Perspektiven der Freiheit den Zoo als ein paradigmatisches Modell gesellschaftlicher Organisation: „Die Ordnung in Zoos ist ein aufschlussreiches Beispiel dafür, wie auch die Gesellschaft insgesamt nach dem Prinzip eines zoologischen Gartens organisiert ist. So wie die Tiere dort zur Schau gestellt werden, hat sich auch die Gesellschaft in eine Spektakelgesellschaft verwandelt – ein Phänomen, das viele Philosoph:innen benannt und analysiert haben. Vor allem durch die drei großen ‚S‘ [im türkischen Kontext: Spor (Sport), Seks (Sexualität), Siyaset (Politik)] eng verknüpft mit der Unterhaltungs- und Kulturindustrie, wird durch eine allgegenwärtige mediale Dauerbeschallung sowohl die emotionale als auch die analytische Intelligenz der Gesellschaft systematisch überreizt und ausgeschaltet. Auf diese Weise ist die mentale Unterwerfung unter die Logik der Spektakelgesellschaft vollzogen worden.“
Zoos sind somit nicht bloß Orte der Tierhaltung, sondern erste Prototypen jener Welt, die die kapitalistische Moderne realisieren will: eine Gesellschaft, in der Kontrolle durch Sichtbarkeit, Disziplin durch Zurschaustellung und Macht durch Abhängigkeit etabliert werden. Diese Logik findet sich nicht nur in kapitalistischen Staaten, sondern auch in sozialistischen Systemen wieder. Das zeigt, dass autoritäre Grundmuster ideologieübergreifend wirksam sind. In dieser Welt wird „Wildheit“ zum abweichenden, störenden Merkmal erklärt. Der Mensch stempelt alle Wesen, die sich seiner Herrschaft verweigern, als „wild“ ab – nicht weil sie zerstörerisch wären, sondern weil sie sich seiner Ordnung entziehen. „Wild“ sind jene, die sich weigern, den vorgegebenen Grenzen zu folgen, die ihre eigenen Lebensnormen entwickeln und andere Lebensformen nicht dominieren, sondern in Koexistenz mit ihnen leben. Diese Definition von Wildheit offenbart nicht die Gefahr der Tiere, sondern die Angst der Macht vor Autonomie.
In diesem Zusammenhang stellt Öcalan auch den Begriff Vergewaltigung in einen umfassenderen soziologischen Zusammenhang. Vergewaltigung, so seine Analyse, ist nicht nur ein sexueller Gewaltakt – sie ist eine Form der totalen Herrschaftsausübung gegenüber allem, was sich entziehen möchte: „Vergewaltigung und Unterwerfung sind Begriffe sozialen Missbrauchs. Sie bezeichnen die gesellschaftliche Dimension des Geschehens, verweisen auf patriarchale Hierarchien und Herrschaft. In tieferer Bedeutung stehen sie für den Verrat am Leben selbst.“ Vergewaltigung bedeutet demnach nicht allein den Übergriff auf den weiblichen Körper – sie ist die strukturelle Aneignung und Gewaltanwendung gegenüber Natur, Tieren und allen Lebewesen. Sie zeigt sich in der Durchsetzung männlicher, hierarchischer Ordnungen, deren Ziel es ist, Autonomie zu brechen, Identitäten auszulöschen und Leben zur Ressource zu machen.
Die Falle des Menschbezugs: Kritik an speziesistischer Befreiungspraxis
Der von der kapitalistischen Moderne geprägte Begriff des „Wilden“, der zunächst auf Tiere angewendet wurde, hat sich im Laufe der Zeit auf alle ausgeweitet, die sich der herrschenden Ordnung widersetzen. Jene, die sich nicht unterwerfen, gelten als „unzivilisiert“, als zu „zähmen“. Die zugrundeliegende Botschaft ist einfach: Nur wer gehorcht, darf existieren – wer sich verweigert, wird ausgeschlossen. Diese Bedingung der Unterwerfung ist nicht nur ideologisch, sondern konstitutiv für das Funktionieren des Systems selbst.
Vor diesem Hintergrund wird auch die Tierrechts- oder Tierbefreiungsbewegung kritisch beleuchtet. Was sich als Kampf für „Freiheit“ präsentiert, bleibt oftmals in einem menschzentrierten, anthropozentrischen Paradigma verhaftet. Die Praxis, Tieren Freiheit zuzugestehen, besteht häufig nicht in einer gemeinschaftlichen Koexistenz, sondern darin, sie an Orte zu verlagern, die erneut vom Menschen definiert wurden – sei es ein „sicheres Gehege“ oder eine „geeignete Umgebung“. Es bleibt bei einer Asymmetrie: Der Mensch bestimmt, was als „Freiheit“ für das Tier gelten soll.
Diese strukturelle Asymmetrie durchzieht auch die Unterscheidung zwischen „zahmen“ und „wilden“ Tieren – eine Einteilung, die tief in speziesistischen Denkmustern verankert ist. Anstatt die grundlegenden Verhältnisse infrage zu stellen, bewegt sich der Diskurs weiterhin innerhalb der vom Menschen gesetzten Normen. Die Folge ist eine verzerrte Praxis, die zwar von Freiheit spricht, aber Kontrolle ausübt – wenn auch in scheinbar wohlwollender Form.
Ein zentrales Problem dieser Bewegungen liegt in ihrer eigenen Sprache. Parolen wie „Sei ihre Stimme“ oder „Sie können nicht sprechen – sprich du für sie“ offenbaren eine paternalistische Haltung. Der Mensch stilisiert sich selbst zum „Retter“ oder „Eigentümer“ der Tiere und reproduziert damit genau jene Besitzlogik, gegen die er vorgibt zu kämpfen. Denn ein Lebewesen zu „besitzen“ bedeutet, es zum Objekt zu machen. Besitz ist ein Ausdruck von Macht und in dieser Logik wird selbst Fürsorge zur subtilen Form der Versklavung.
In einer wirklich emanzipatorischen Perspektive muss anerkannt werden, dass das Wort eines Menschen nicht mehr oder weniger wert ist als das „Recht“ eines Schleimpilzes oder einer Schnecke. Jede Hierarchisierung von Lebensformen ist bereits Teil jener zerstörerischen Logik, die die Welt in Objekte, Ressourcen und Eigentum aufteilt. Forderungen, die sich innerhalb der Systemgrenzen bewegen, bleiben zwangsläufig begrenzt: sie mögen Symptome lindern, doch sie greifen die Ursachen nicht an. Oder, wie es Abdullah Öcalan formuliert: „Unsere Revolution ist eine Revolution der Liebe.“
Fortsetzung folgt
*Der Verfasser des Textes ist der Redaktion bekannt.
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