„Die Kriminalisierung der kurdischen Bewegung hat in Deutschland ein Eigenleben entwickelt“
Obwohl die PKK ihren bewaffneten Kampf beendet hat, laufen in Deutschland weiter Verfahren gegen kurdische Aktivist:innen. Rechtsanwalt Dr. Lukas Theune erklärt, warum die deutsche Justiz an überholten Strukturen festhält – und was sich ändern muss.
Seit über 30 Jahren verfolgt die Bundesrepublik Deutschland die politische Betätigung von Kurd:innen unter dem Vorwurf der Unterstützung oder Mitgliedschaft in der PKK. Grundlage dafür ist das Vereinsverbot aus dem Jahr 1993 sowie die Terrorismusparagraphen §129a und §129b StGB. Während sich die politische Lage in der Türkei verändert – mit einem neuen Friedensprozess und der erklärten Auflösung der PKK – hält die deutsche Justiz an der Kriminalisierung kurdischer Strukturen fest.
Rechtsanwalt Dr. Lukas Theune, der seit vielen Jahren Mandant:innen aus der kurdischen Community vertritt, spricht im Interview mit Devriş Çimen von der kurdischen Tageszeitung Yeni Özgür Politika über die Hintergründe laufender Verfahren, das politische Signal dahinter – und darüber, warum es höchste Zeit für ein Umdenken ist.
Herr Dr. Theune, die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) ist in Deutschland seit dem 26. November 1993 verboten. Seither erleben wir eine umfassende Kriminalisierung der politischen Organisierung innerhalb der kurdischen Community. Als Anwalt kennen Sie die Auswirkungen dieser Politik aus Ihrer Mandatsarbeit. Laut dem Rechtshilfefonds AZADÎ befinden sich aktuell mindestens zehn kurdische Aktivist:innen im Zusammenhang mit dieser Kriminalisierung in Haft. Was steht hinter diesen Verfahren?
Die Strafverfahren haben nicht unmittelbar etwas mit dem Verbot zu tun; die Bundesanwaltschaft und der Bundesgerichtshof halten die PKK vielmehr für eine terroristische Vereinigung im Ausland, sodass diese Verfahren – unabhängig von dem Vereinsverbot – nach § 129b StGB geführt werden.
Lukas Theune im November 2022 in Berlin bei der „PKK-Verbot aufheben – Den Weg für Frieden ebnen“-Demonstration © ANF
Zuletzt haben die zuständigen Oberlandesgerichte aber vermehrt Zweifel angemeldet, dass diese Strafverfahren angesichts der Auflösung der PKK und der Aufgabe des bewaffneten Kampfes in der Türkei noch sinnvoll sind. Eine Neubewertung durch die Bundesanwaltschaft lässt allerdings immer noch auf sich warten.
Seit dem PKK-Betätigungsverbot 1993 geht Deutschland gegen politisch aktive Kurd:innen häufig im Gleichklang mit der Türkei vor. Inzwischen führt der türkische Staat jedoch einen Friedensprozess mit Abdullah Öcalan, und die von ihm gegründete PKK hat im Mai 2025 ihre Auflösung sowie die Einstellung ihres bewaffneten Kampfes erklärt. Hat die deutsche Justiz diese Entwicklungen nicht zur Kenntnis genommen?
Ich wäre nicht überrascht, wenn die kurdische Bewegung in Deutschland noch kriminalisiert wird, wenn in der Türkei der Friedensprozess schon zum Ende des Verbots der PKK geführt hat. Dass die Verfolgungspraxis in Deutschland weiter anhält, ist mittlerweile nicht mehr mit Unterstützung des türkischen Regimes zu erklären; wir müssen leider davon ausgehen, dass Deutschland hier ein eigenes Interesse an der kurdischen – antikapitalistischen Bewegung verfolgt, das ein Eigenleben entwickelt hat.
Der Rechtshilfefonds AZADÎ gab kürzlich bekannt, dass seit 2016 mindestens 66 Personen wegen des Vorwurfs der PKK-Mitgliedschaft inhaftiert wurden. Darüber hinaus laufen weitere Verfahren nach den Paragrafen 129a und 129b StGB wegen mutmaßlicher Unterstützung der PKK. Ist diese Praxis angesichts der aktuellen politischen Entwicklungen nicht überholt?
Das würde man sich denken. Bis auf Lippenbekenntnisse ist indes noch nichts in die Richtung geschehen. Die Bundesregierung hat den Friedensprozess im Parlament gelobt, auch das Auswärtige Amt hat sich bereits positiv geäußert. Nun müssen aber dringend die nötigen rechtlichen Schritte auch in Deutschland folgen, die einen politischen Diskurs in der kurdischen Community ermöglichen, damit der Friedensprozess auf Dauer erfolgreich sein kann. Dazu gehört die sofortige Aufhebung des PKK-Verbots, die Aufhebung der Verfolgungsermächtigung gegen PKK-Kader, und das Ende der Überwachung und Kriminalisierung der kurdischen Vereine und der Menschen, die sich in diesem Rahmen engagieren.
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