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Türkei: Kritik an Symbolpolitik, Ruf nach echter Demokratisierung

 


Die im türkischen Parlament eingerichtete Kommission zur Lösung der Kurdistan-Frage hat eine neue Sitzung abgehalten. Während Präsident Kurtulmuş auf gesellschaftlichen Konsens pochte, kamen auch kritische Stimmen zur politischen Realität im Land zu Wort.

Kurdische Frage: Vierte Sitzung der Kommission
 
ANF / ANKARA, 19. Aug. 2025.

Die im türkischen Parlament eingerichtete „Kommission für nationale Solidarität, Geschwisterlichkeit und Demokratie“ hat am Dienstag ihre vierte Sitzung abgehalten. Unter der Leitung von Parlamentspräsident Numan Kurtulmuş kamen Vertreter:innen mehrerer Opfer- und Angehörigenverbände sowie staatlicher Stellen zusammen, um über gesellschaftliche Versöhnung, Gewaltfolgen und mögliche Schritte zur Lösung des seit Jahrzehnten andauernden Konflikts zu sprechen.

In seiner Eröffnungsrede erklärte Kurtulmuş, die Kommission sei Ausdruck eines historischen Moments, in dem alle – mit Ausnahme der MHP-Abspaltung Iyi-Partei – vertretenen Fraktionen im Parlament Verantwortung übernommen hätten. Ziel sei es, „die gesellschaftliche Zustimmung zu stärken, die Sensibilität zu erhöhen und die Unterstützung verschiedener gesellschaftlicher Gruppen für den Versöhnungsprozess zu gewinnen“.

Gleichzeitig warnte der Parlamentspräsident vor Kräften, die den Prozess sabotieren wollten – sowohl im Inland als auch international. Ohne konkrete Namen zu nennen, sprach er von Versuchen, die Arbeit der Kommission zu „vergiften“. Es sei daher wichtig, „die Reihen zu schließen“ und mit Nachdruck an einem glaubwürdigen Ergebnis zu arbeiten.

Zivilgesellschaftliche Perspektiven

Die Sitzung fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Geladen waren Vertreter:innen mehrerer Organisationen von Veteranen, Witwen und Waisen türkischer Sicherheitskräfte sowie Mitglieder der umstrittenen Gruppe „Mütter von Diyarbakır“. Dieser Zusammenschluss war 2019 auf Anregung des damaligen Innenministers Süleyman Soylu gegründet worden und veranstaltet seither vor dem HDP-Gebäude (inzwischen DEM) in der kurdischen Metropole Amed einen Sitzstreik. Die Beteiligen geben vor, ihre Kinder seien angeblich durch die HDP einer Gehirnwäsche unterzogen und anschließend zum Beitritt in die Guerilla ermutigt worden.

Diese Akteure teilten ihre Erfahrungen aus der Perspektive von Opfern bewaffneter Auseinandersetzungen und äußerten Erwartungen an die Politik, insbesondere mit Blick auf Anerkennung, Sicherheit und Gerechtigkeit.

Kritische Stimmen: „Nicht auf symbolische Gesten beschränken“

Trotz der insgesamt dialogorientierten Atmosphäre gab es auch kritische Beiträge. So betonte der CHP-Abgeordnete Turan Taşkın, dass die Kommission nicht auf symbolische Akte beschränkt bleiben dürfe: „Wenn wir über Demokratie sprechen, dann können wir nicht gleichzeitig zu politischen Schauprozessen und Massenverhaftungen schweigen.“

Taşkın verwies konkret auf die jüngsten Verhaftungen im Umfeld der Istanbuler Stadtverwaltung von Beyoğlu. Auch diese, so Taşkın, müssten Gegenstand der Debatte sein – insbesondere mit Blick auf Rechtsstaatlichkeit, Fairness und die Gefahr der politisierten Justiz: „Wie kann man Versöhnung und Gerechtigkeit erwarten, wenn Menschen mit Copy-Paste-Begründungen in Untersuchungshaft genommen werden?“

Er forderte, die Kommission müsse „eine umfassende demokratische Mission“ übernehmen. Nicht nur ein Waffenstillstand, sondern strukturelle Veränderungen im Justiz- und Rechtssystem seien entscheidend für einen nachhaltigen Frieden.

Ministerin: „Ohne Demokratie keine Geschwisterlichkeit“

Auch Familien- und Sozialministerin Mahinur Özdemir Göktaş (AKP) nahm an der Sitzung teil. In ihrer Präsentation betonte sie, dass „Demokratie ohne Geschwisterlichkeit nicht tragfähig sei – und umgekehrt“. Ihr Ministerium, so Göktaş, arbeite daran, soziale Unterstützung für Angehörige von Märtyrern und Veteranen aus dem staatlichen Sicherheitsapparat auszuweiten. Sie kündigte an, die entsprechenden Maßnahmen der Regierung im Detail darzulegen.

Ausblick: Friedensmütter und Menschenrechtsorganisationen am Mittwoch

Die morgige, fünfte Sitzung der Kommission wird weitere zivilgesellschaftliche Gruppen zu Wort kommen lassen. Geplant ist die Anhörung vom Rat der kurdischen Friedensmütter, der Initiative der Samstagsmütter, Menschenrechtsorganisationen wie IHD, MAZLUM-DER und IHH und der Tahir-Elçi-Menschenrechtsstiftung.

Die Sitzung beginnt um 14:00 Uhr und soll in zwei Abschnitten stattfinden. Politische Beobachter:innen sehen darin eine Möglichkeit, Perspektiven von Angehörigen der zivilen Opferseite stärker in den parlamentarischen Diskurs zu integrieren.

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