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„Dialog ja, Unterordnung nein“ – Foza Yûsif über die Verhandlungen mit Damaskus

 


Die kurdische Politikerin Foza Yûsif (PYD) hat sich im Interview über die stagnierenden Gespräche mit Damaskus, türkischen Einfluss, regionale Instabilität geäußert und betont, warum echte Demokratie der Schlüssel für Syriens Zukunft ist.

Kurdische Verhandlungsführerin: Syrien braucht ein demokratisches System
 
ANF / REDAKTION, 26. Aug. 2025.

Seit dem am 10. März unterzeichneten Abkommen zwischen der Demokratischen Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien (DAANES) und der selbsternannten Übergangsregierung in Damaskus stocken die politischen Gespräche. Die kurdische Politikerin Foza Yûsif (PYD), die Ko-Vorsitzende des Verhandlungskomitees der DAANES ist, schildert im Interview mit der Zeitung Yeni Özgür Politika die Ursachen der Blockade, warnt vor wachsendem türkischem Einfluss und fordert einen dezentralen, demokratischen Umbau Syriens. Das Ziel: eine inklusive Lösung, die allen Bevölkerungsgruppen Sicherheit, Mitsprache und Perspektive bietet.

Das am 10. März unterzeichnete Abkommen mit seinen acht Punkten scheint derzeit auf Eis zu liegen. In welchen Bereichen konnten bisher Fortschritte erzielt werden, und in welchen Punkten ist es zu Blockaden gekommen?

Zur Umsetzung des 10.-März-Abkommens wurden gemeinsame Ausschüsse zwischen der Autonomieverwaltung Nord- und Ostsyriens und der Übergangsregierung in Damaskus eingerichtet. Dennoch konnten inhaltlich kaum substanziell Fortschritte erzielt werden. Das zentrale Problem besteht in den Differenzen bezüglich der Frage, wie die angestrebte Integration ausgestaltet und umgesetzt werden soll. Unsere Position ist klar: Die Institutionen in Nord- und Ostsyrien sollen ihre Eigenständigkeit bewahren und auf Grundlage demokratischer Prinzipien in eine gesamtstaatliche Ordnung eingebunden werden. Wir streben die Etablierung eines rechtlichen Rahmens mit Damaskus an, der Mechanismen und Gesetze für demokratische Politikentwicklung vorsieht. Bislang konnte jedoch kein Konsens über diese Grundsätze erzielt werden.

Warum wurden die in Paris geplanten Gespräche abgesagt? Jenseits der offiziellen Erklärungen: Welche politischen Motive stehen hinter dieser Entscheidung? Welche Rolle spielten die Drohungen des türkischen Außenministers Hakan Fidan und der Türkei?

Aus unserer Sicht gibt es zwei Hauptgründe für die Absage der Pariser Gespräche. Erstens lehnt die Übergangsregierung die Einbeziehung internationaler Akteure und Garantiemächte ab. Zweitens hatten die Ereignisse in Suweida massive internationale Kritik ausgelöst. Dort kam es zu Massakern, die die Schwäche der Übergangsregierung sowohl sicherheitspolitisch als auch moralisch offenlegten. Ihre Politik erwies sich als antidemokratisch und menschenrechtswidrig. Diese Entwicklung führte dazu, dass die Übergangsregierung ihre militärische Schwäche eingestehen musste. Im Ergebnis war die Nichtteilnahme an den Gesprächen in Paris eine Konsequenz dieser politischen und sicherheitspolitischen Defizite.

Foza Yûsif (3.v.l.) ist Verhandlungsführerin in den Gesprächen mit Damaskus, hier im Juni 2025 | Foto: NES Communication

Es gibt Berichte, wonach der türkische Geheimdienst MIT ein Zentrum unmittelbar neben dem Sitz der sogenannten Regierung von Abu Muhammad al-Dschaulani (alias Ahmed al-Scharaa) eingerichtet habe und ohne dessen Zustimmung keine Entscheidungen getroffen würden. Können Sie die Richtigkeit dieser Behauptung bestätigen?

Wir verfügen über keine gesicherten Informationen über ein konkretes MIT-Zentrum. Doch es ist offensichtlich, dass die Türkei erheblichen Einfluss auf die Übergangsregierung ausübt. Ihre Beziehungen sind vielschichtig und weitreichend. Die Türkei hat nicht nur Einfluss auf Entscheidungsprozesse, sondern auch auf die politische Ausrichtung der Regierung. Es existiert ein bilaterales Sicherheitsabkommen, das diesen Einfluss zusätzlich zementiert. Türkische Entscheidungsträger äußern sich in der Öffentlichkeit mitunter so, als betrachteten sie Syrien als eigene Provinz. Diese Haltung offenbart den Anspruch Ankaras, die syrische Politik direkt zu beeinflussen.

Ist eine Wiederaufnahme der Gespräche in Paris denkbar? Werden zukünftige Gespräche eher in Damaskus stattfinden? Wird Frankreich unabhängig vom Ort weiterhin als Garant auftreten?

Bislang liegt keine Entscheidung über Zeit und Ort weiterer Gespräche vor. Frankreich ist jedoch offiziell als Garantiemacht in den Prozess eingebunden. Solange keine gegenteilige Erklärung veröffentlicht wird, gehen wir davon aus, dass Frankreich weiterhin eine aktive Rolle in den Verhandlungen einnehmen wird.

Haben nach der Absage der Pariser Gespräche Treffen in Damaskus stattgefunden? Wie hat sich die Haltung der syrischen Regierung danach verändert?

Nach der Absage kam es zu keinem Treffen zwischen der Selbstverwaltung und der Übergangsregierung. Jedoch fand ein Austausch zwischen dem Ausschuss für Außenbeziehungen der Autonomieverwaltung und dem syrischen Außenministerium statt. Ziel dieser Begegnung war es, den Dialog grundsätzlich aufrechtzuerhalten. Beide Seiten erklärten ihre Absicht, an einer Fortsetzung der Gespräche zu arbeiten. Es wurde vereinbart, die bestehenden Komitees sollten ihre Aufgabenbereiche weiter bearbeiten, um Lösungen für spezifische Problemfelder zu finden.

Warum lehnt die Türkei Gespräche in Paris ab und schlägt stattdessen Orte wie Amman vor? Welche politischen Motive stehen hinter diesem Verhalten, insbesondere im Kontext des Verteidigungsabkommens zwischen Ankara und Damaskus?

Der türkische Einfluss auf die Übergangsregierung ist enorm. Die türkische Regierung beeinflusst direkt die politische Agenda und Entscheidungsfindung der Übergangsregierung – insbesondere im Hinblick auf den Dialog mit Nord- und Ostsyrien. Die jüngsten militärischen Angriffe Türkei-gesteuerter Gruppen und die Eskalation von Gewalt wirken destabilisierend und untergraben das Vertrauen der Bevölkerungsgruppen in eine friedliche Lösung. Unsere Position ist eindeutig: Demokratie, Pluralismus und Dezentralisierung schaffen langfristige Stabilität – nicht Repression oder ethnisch-sektiererische Politik. Die Türkei sollte ein Interesse daran haben, an ihrer Südgrenze einen stabilen, demokratischen Nachbarn zu haben. Dies erfordert, dass sie sich konstruktiv an einem politischen Dialog beteiligt und nicht weiter Konflikte befeuert.

Als offizieller Grund für die Absage der Paris-Gespräche wurde die in Hesekê abgehaltene Konferenz genannt. Warum wurde diese Konferenz als so problematisch empfunden? Ist geplant, ähnliche Konferenzen auch in anderen Regionen abzuhalten?

Die Konferenz in Hesekê hat vor allem deshalb Irritation ausgelöst, weil sie ein Gegenmodell zur Politik der Ausgrenzung und des Autoritarismus darstellt. Vertretungen religiöser und ethnischer Minderheiten sowie Frauenorganisationen kamen dort zusammen, um über Lösungen zu beraten und konkrete Beschlüsse zu fassen. Die syrische Übergangsregierung hat es bislang nicht vermocht, ein inklusives politisches System zu etablieren. Gerade deshalb stellen solche Konferenzen für sie eine Bedrohung dar – und dienen als Vorwand, um sich Verhandlungen zu entziehen. Doch Ziel der Konferenz war der Aufbau eines integrativen und demokratischen Syriens. Der Wille zur Koexistenz darf nicht kriminalisiert werden.

Wie bewerten Sie die Angriffe des sogenannten Islamischen Staates (IS) in den vergangenen Wochen und die gleichzeitigen Spannungen oder Umbrüche innerhalb der arabischen Stämme? Welche Entwicklungen zeichnen sich derzeit in Deir ez-Zor ab?

In den letzten Monaten kam es zu einer Häufung von Angriffen, deren Urheberschaft teilweise unklar ist. Wir prüfen derzeit, ob alle Angriffe tatsächlich vom IS verübt wurden oder ob auch andere Akteure unter dessen Namen operieren. Es besteht der Verdacht, dass gezielte Destabilisierungsversuche stattfinden, die ethnische Spannungen schüren sollen. Dabei werden Einzelpersonen innerhalb von Stämmen instrumentalisiert, um Konflikte zu provozieren und Spaltungen zu vertiefen. Es existieren mittlerweile verschiedene Formen des IS, je nach Interessenlage der jeweiligen Staaten. Die große Mehrheit der arabischen Stämme lehnt diese Manipulationen ab, aber einige wenige Akteure lassen sich für solche Zwecke einspannen. Diese Politik ist gefährlich, weil sie versucht, Kurd:innen und Araber:innen gegeneinander auszuspielen.

Welche Ergebnisse wurden bei den Gesprächen in Raqqa mit den arabischen Stämmen unter US-Vermittlung erzielt? Gibt es Hinweise auf eine mögliche Konfrontation zwischen den arabischen Stämmen und der Selbstverwaltung?

In mehreren Treffen – sowohl mit der Übergangsregierung als auch mit internationalen Partnern – wurde deutlich gemacht, dass die Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) als Sicherheitsgarant für alle Bevölkerungsgruppen wahrgenommen werden. In Raqqa und Deir ez-Zor wurde betont, dass ohne QSD keine stabile Integration möglich ist. Insbesondere Frauen und Minderheiten befürchten, ihre Rechte in einem nicht-demokratischen System zu verlieren. Sie bestehen auf einer Einbindung in Entscheidungsprozesse und eine Fortsetzung des gegenwärtigen Modells, in dem sie aktiv mitwirken. Die Berichte über Gräueltaten in Hama, Homs und Idlib haben die Besorgnis zusätzlich verstärkt. In Gesprächen mit der internationalen Koalition wurde erneut auf die Notwendigkeit eines inklusiven Sicherheits- und Regierungssystems hingewiesen.

Trotz der Blockaden: Halten Sie eine Lösung oder Integration zwischen Damaskus und der Autonomieverwaltung weiterhin für realistisch? Welche Alternativen bestehen bei einem Scheitern?

Die Völker Syriens haben in den vergangenen 15 Jahren enorme Opfer gebracht. Die tiefgreifenden politischen, sozialen, wirtschaftlichen und rechtlichen Herausforderungen erfordern Geduld und einen festen politischen Willen zur Lösung. Wir befinden uns noch immer am Anfang eines schwierigen Prozesses. Rückschläge sollten nicht zur Aufgabe führen, sondern zur Stärkung unseres Engagements. Der einzig gangbare Weg führt über den Dialog. Gewalt und militärische Auseinandersetzungen vertiefen die Krise nur. Die jüngsten Ereignisse an der Westküste, unter anderem Latakia, und in Suweida zeigen, dass ein autoritäres System keine dauerhafte Lösung bietet. Wir setzen uns für eine demokratische Verfassung ein, die alle Bevölkerungsgruppen respektiert und Teilhabe ermöglicht. Syrien ist ein vielfältiges Land – diese Vielfalt zu schützen und produktiv zu gestalten, ist die Voraussetzung für Frieden. Ein monistisches System hingegen gefährdet die Stabilität und vertieft den Bürgerkrieg. Unser Ziel ist klar: ein demokratisches System, das allen Menschen Syriens zugutekommt.

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