GfbV sieht die Freiheit der Wissenschaft in Syrien bedroht
Die GfbV sieht angesichts des ideologischen Einflusses, den die selbsternannte syrische Übergangsregierung auf Universitäten ausübt, die Wissenschaftsfreiheit in Gefahr. Sie äußert auch Sorge über die Zukunft der Universitäten der DAANES.
Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) warnt anlässlich des zehnten Jahrestags der Gründung der Universität in Efrîn (Afrin) am 26. Juli 2015 in einer schriftlichen Erklärung vor der drohenden Zerstörung der drei verbliebenen Universitäten in Nordsyrien. „Nach dem Sturz der Assad-Diktatur wird die Gefahr immer größer, dass die neue islamistische Regierung in Damaskus die Kontrolle über die nordöstlichen Regionen Syriens übernimmt. Für die dort ansässigen Universitäten würde dies das Ende der Wissenschaftsfreiheit bedeuten“, sagt Dr. Kamal Sido, Nahostreferent der in Göttingen ansässigen Menschenrechtsorganisation.
Der als „Rojava-Revolution“ bekannte gesellschaftliche Aufbau der Selbstverwaltung in Nord- und Ostsyrien hat am 19. Juli 2012 seinen Anfang genommen. Nur drei Jahre später, am 26. Juli 2015, wurde in Efrîn die erste kurdische Universität eröffnet. Ein Jahr später folgte die Gründung der Rojava-Universität in Qamişlo, die als die größte Universität der Demokratischen Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien (DAANES) gilt. Die Universität in Kobanê wurde 2017 eröffnet und mit der Gründung der Al-Sharq-Universität in Raqqa gibt es auch eine Hochschule in einer mehrheitlich arabisch bevölkerten Stadt. Darüber hinaus gibt es mehrere Fachhochschulen in der DAANES. Im Wintersemester 2024/2025 waren 4.775 Studierende eingeschrieben, die meisten davon an den Universitäten von Raqqa (595), Qamişlo (2.721) und Kobanê (1.459).
Universitäten als Orte der Demokratie
Die Existenz der Universität in Efrîn dauerte nur drei Jahre: Als die Türkei das nordwestlich gelegene Efrîn 2018 völkerrechtswidrig besetzte, wurde die Universität ebenso wie etwa 400 kurdische Schulen zerstört. Heute wird das Gebäude von der Türkei und ihren dschihadistischen Hilfstruppen als Hauptquartier der Besatzung genutzt.
In der Erklärung der GfbV heißt es zu den verbliebenen Universitäten der DAANES: „An allen drei Universitäten werden nicht nur verschiedene Fächer gelehrt, sondern es wird auch für religiöse und ethnische Toleranz sowie die Gleichberechtigung von Frauen und Männern geworben.“
Mangelnde Solidarität deutscher Hochschulen
„Wissenschaftsfreiheit ist ein Grundpfeiler demokratischer Gesellschaften. Wir appellieren an deutsche Universitäten, sich für die Freiheit der Universitäten in Syrien einzusetzen“, sagt Dr. Kamal Sido. Als einzige deutsche tertiäre Bildungseinrichtung hat die Hochschule Emden/Leer seit 2018 einen Partnerschaftsvertrag mit der Rojava Universität in Qamişlo.
Den Grund für die fehlende Solidarität sieht Sido in den engen Beziehungen deutscher und türkischer Universitäten. Diese lehnten jeglichen Kontakt zur autonomen Selbstverwaltung in Nordsyrien ab.
Gebetsplätze statt Lesesäle
Während an den drei Universitäten in der autonomen Selbstverwaltung Frauen etwa 68 Prozent der Studierenden und 52 Prozent der Professuren ausmachten, führt die GfbV aus, setzten sich an den Universitäten, die sich unter der Kontrolle der neuen islamistischen Regierung in Syrien befinden, immer stärker islamistische Tendenzen durch. „Diese Entwicklung gefährdet die Zukunft der Universitäten und der Wissenschaft in Syrien insgesamt“, warnt der Menschenrechtler.
Seit dem Sturz des Assad-Regimes werden laut der Menschenrechtsorganisation an fast allen syrischen Universitäten, insbesondere in Damaskus, mit Hochdruck Gebetsräume errichtet. Auch Lesesäle und Universitätshöfe würden oft demonstrativ zu Gebetsplätzen erklärt, an denen Tausende Studenten getrennt von Frauen das islamische Gebet verrichten. In den Lesesälen und an den Wänden der Universitäten seien wiederholt Flugblätter gefunden worden, in denen Studierende dazu aufgerufen werden, sich an islamische Regeln zu halten. Die Lehrkräfte stünden oft unter der Kontrolle verschiedener Scheiche, die Verbindungen zu radikalen Gruppen wie dem internationalen Terror-Netzwerk Al-Qaida haben.
Islamistische Ideologie bedroht die Wissenschaftsfreiheit
„Zu den Gebetszeiten wird oft chaotisch zum Gebet gerufen. Studierende des weiblichen Geschlechts werden aufgefordert, sich an die islamischen Kleiderregeln zu halten. Syrische Universitäten werden für Christen, Alawiten, Drusen, aber auch für Kurden zu Orten der Intoleranz und Brutstätten radikaler Gruppen wie al-Qaida oder der Muslimbruderschaft“, warnt Dr. Kamal Sido, der im April und Mai 2025 durch Syrien reiste.
Die GfbV befürchtet, dass die zunehmende Verbreitung islamistischer Ideologien auch weitreichende Folgen für in Deutschland lebende Syrer:innen haben könne. Eine Stärkung des Einflusses islamistischer Ideologien auf Menschen syrischer Herkunft in Deutschland birge vor allem für Angehörige von Minderheiten Gefahren. In Deutschland lebende Drus:innen, Kurd:innen und andere Minderheitenangehörige würden bereits jetzt verstärkt von Islamisten bedroht, erklärt die Menschenrechtsorganisation.
Titelfoto: Verabschiedung der ersten Absolvent:innen der Kobanê-Universität 2021 © DAANES
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