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„Es ist 5 vor 12“: Trillerpfeifen-Protest vor türkischen Gefängnissen

 

  • Haftanstalten zu Transparenten und Trillerpfeifen, um die Aufhebung der Isolation zu fordern. Die Rechtsverletzungen in den Gefängnissen seien so dramatisch wie nie.
„Erhebt eure Stimme für die Freiheit“

„Erhebt eure Stimme für die Freiheit“ – unter diesem Motto griffen Angehörige von Inhaftierten, Aktive der Gefangenensolidarität und Handelnde aus Politik am Montag vor Hochsicherheitsgefängnissen in verschiedenen Städten der Türkei zu Transparenten und Trillerpfeifen. Ihre Botschaft an die Regierung: „Es ist 5 vor 12 – die Auswirkungen der Rechtsverletzungen hinter Gittern sind so dramatisch wie nie!“ An einigen Orten versuchte die Polizei, die Aktionen zu unterbinden. Vor allem der Einsatz älterer Mütter von Gefangenen führte dazu, dass es lediglich bei Störungen blieb.

Aktionen in sechs Städten

Mit den Protesten in Amed (tr. Diyarbakır), Êlih (Batman), Mersin, Adana, Izmir und Istanbul sollten die politischen Gefangenen unterstützt werden, die sich seit einigen Wochen anlässlich der Kampagne „Freiheit für Abdullah Öcalan und eine politische Lösung der kurdischen Frage“ an einem Kommunikationsboykott beteiligen. Hatten sie seit November zunächst einen monatelangen Hungerstreik durchgeführt, um gegen die Isolation des PKK-Begründers und für Anwaltsbesuche bei ihm zu protestieren, verweigern sie nun seit Anfang April jegliche Teilnahme an Gerichtsverhandlungen, Familienbesuchen und Telefonkontakten. „Ich entscheide mich dafür, unter den gleichen Bedingungen zu leben wie Rêber Apo“ lautet ihr Tenor dabei. Die Angehörigen, die sich unter dem Dach der kurdischen Solidaritätsorganisation Med Tuhad-Fed formieren, unterstützen die Gefangenen und ihre Forderungen und kämpfen auf der Straße dafür, dass ihre Stimmen gehört werden.

In Amed nahm die Polizei die Demonstrierenden in einen Kessel und versuchte Medienschaffende daran zu hindern, die Aktion mit der Kamera zu dokumentieren. Die DEM-Abgeordnete Adalet Kaya verurteilte das Vorgehen und bezeichnete Isolation als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit 


Folter, Isolation, inhumane Verhältnisse. Für tausende politische Gefangene ist das seit Jahrzehnten Alltag hinter den hohen Mauern türkischer Gefängnisse, die in ihrer Anzahl und Größe weiterhin wie Pilze aus dem Boden schießen. Die Schuld an diesem System sehen viele Kreise in dem Haftregime, das auf der Gefängnisinsel Imrali umgesetzt wird. Jenseits der Grenzen des geltenden Rechts wird dort gegen den kurdischen Vordenker Abdullah Öcalan sowie dessen Mitgefangene Ömer Hayri Konar, Hamili Yıldırım und Veysi Aktaş ein Konzept angewandt, das ihre physische, psychische und politische Vernichtung zum Ziel hat.

In Êlih verhinderte die Polizei, dass die Gefangenenangehörigen bis vor das Tor des T-Typ-Gefängnisses ziehen. Sie forderten, dass die Beteiligten Kleidung mit dem Schriftzug „Isolation Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ ablegen, was abgelehnt wurde. Aktivistinnen der kurdischen Frauenbewegung TJA initiierten daraufhin einen Sitzstreik


Eine juristische Ummantelung für dieses Unrecht halten die türkische Regierung und die Justiz nicht nur für überflüssig. Sie haben das System Imrali inzwischen institutionalisiert. Dessen Einfluss bekommen jedoch nicht nur auch andere politische Gefangene zu spüren, und zwar mehr als deutlich, sondern nahezu alle Teile der Gesellschaft. Das Rechtsbüro Asrin, das Öcalan seit seiner Verschleppung in die Türkei vor 25 Jahren juristisch vertritt, spricht in dem Zusammenhang von „komplexen Dialektiken“ des Imrali-Systems, die das Handlungsmuster der Politik bestimmen würden. Öcalan hat während seiner Haft stets neue Perspektiven entwickelt und Lösungsansätze für bestehende Probleme geschaffen, vor allem hinsichtlich der ungelösten Kurdistan-Frage. Die Reaktionen, die sein Wirken bei der Regierung hervorriefen, demonstrieren deutlich den Zusammenhang der Dialektik und Dynamik zwischen dem System auf Imrali und Krieg-Frieden, Putschmechanismus-Demokratisierung sowie Krise-Lösung.

Auch vor dem Frauengefängnis in Bakırköy bei Istanbul fand ein Sitzstreik statt

Zwischen 2013 und 2015 hatte es letztmalige Gespräche zwischen Öcalan und dem türkischen Staat gegeben, die das Ziel verfolgten, eine demokratische Lösung der kurdischen Frage zu erarbeiten. Öcalan hatte zu einer Zeit, in der sich der Nahe Osten in ein Meer von Blut verwandelte, in dem Versuch, zu einer Lösung beizutragen, einen lokalen, friedlichen und vernünftigen Ansatz für alle Völker der Region vorgeschlagen. Die Kriegstreiber, die über die Türkei herrschen, warfen den Verhandlungstisch um – und die damit einhergehende Eskalation der Kriegspolitik führte zur Vertiefung der Isolation auf Imrali. Seit über drei Jahren gibt es kein einziges Lebenszeichen von Öcalan, gleichzeitig erlebt die kurdische Gesellschaft eine Eskalation des Vernichtungsfeldzugs gegen ihre Existenz bisher ungekannten Ausmaßes. Dieser Zustand ist für praktisch alle Krisen im Land verantwortlich, weil er alle Bereiche des Lebens erfasst. Die Forderung der Gefangenenangehörigen, die heute bei allen Trillerpfeifen-Protesten verlesen wurde, lautete daher: „Für Freiheit und Demokratie, die Lösung aller Krisen und einen würdevollen Frieden muss die Isolation aufgehoben werden. Denn Isolation bedeutet Krieg. Wir sind es leid, die Ketten des Krieges zu tragen.“

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