Suwaida/Syrien: Mahmoud war mehr als ein Opfer

 


Mahmoud ist tot. Der Journalist musste sterben, weil er die neuen Proteste gegen das Assad-Regime unterstützte. Aktivistin Raya Sibeye erinnert anlässlich des Tags der Pressefreiheit an ihren Freund und Kollegen.


Karikatur von Mahmoud al-Harbi ©Fadi al-Halabi

Kann es sein, dass die Welt uns nur als Opfer von Konflikten oder Kriegen sieht? Bei Gott, wir sind nicht nur Zahlen! Wir lieben das Leben und wollen nicht sterben!”

Mahmouds Worte hallen noch immer in mir nach. Ich denke oft zurück an den Tag, als wir uns bei ihm zu Hause durch Aktenberge wühlten. Wir sprachen über die vielen syrischen Reporter*innen, die seit Beginn der Revolution getötet oder entführt wurden. Mahmoud wollte ihre Erinnerung bewahren. Er vergaß nie ein Detail und dokumentierte akribisch jeden Fall. 

So viele Journalist*innen sind seit 2011 verschwunden. Das Schicksal der meisten ist bis heute ungeklärt. Im letzten Jahr berichtete die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte, dass mehr als 700 Reporter*innen in Syrien ermordet wurden. Andere werden immer noch in den Gefängnissen des Regimes gefoltert. Mahmoud war es wichtig, die Erinnerung an sie wach zu halten, indem er recherchierte und mahnte.

Während unseres Treffens kamen immer wieder seine fünf Kinder ins Zimmer gestürmt. Und immer wieder hatte er ein warmes Lächeln und viel Geduld für sie. Er sagte:

Meine Kinder spüren, wenn mich etwas bewegt. Dann wollen sie bei mir sein.”

Mahmoud al-Harbi war ein leidenschaftlicher Journalist. Er war mein Freund und Kollege. Er arbeitete und war eines der ersten Redaktionsmitglieder bei dem lokalen Nachrichtenportal “Daraa 24”. Außerdem engagierte er sich für soziale Zwecke. Er stammte aus Daraa, einer der am meisten vom Krieg gezeichneten Städte Syriens. Die Stadt, die vor 13 Jahren die Flamme der Revolution zu einem Lauffeuer entfachte. Damals waren wir noch Kinder. Zusammen schrien wir auf den Straßen, zuerst voller Euphorie, dann voller Angst, als das Assad-Regime mit dem Morden begann. Einer von Mahmouds Brüdern landete im Gefängnis, der andere wurde getötet. Dennoch kämpfte er mutig weiter für Freiheit und Gerechtigkeit. Seine Waffe war der Stift und jedes seiner Worte verbunden mit der Hoffnung, dass wir nicht vergessen werden.

Mahmoud wurde im November 2023 kaltblütig ermordet. 

Sein Verbrechen: Wie viele andere hatte er an den friedlichen Protesten in Suweida teilgenommen. Seit dem vergangenen Sommer blüht die Revolution in der Provinz in ihren schönsten Farben wieder auf. Die Menschen auf den Straßen fordern einen friedlichen Machtwechsel im Sinne der UN-Resolution 2254 und die Freilassung  aller politischen Gefangenen. Der Protest ist kreativ und vielfältig und dennoch kommen wir jede Woche zusammen für ein geeintes Syrien auf den “Platz der Würde”.

Ich konnte die Aufregung in Mahmouds Stimme hören, als er mich von dort aus anrief. Er war voller Tatendrang und wollte der Welt zeigen, dass in Suweida die Menschen trotz all ihrer religiösen und ethnischen Unterschiede Seite an Seite stehen. Dass sie das Schicksal unzertrennbar zusammengeschweißt hatte. Täglich rief er mich an, um über die Lage vor Ort zu informieren. Es waren lange, euphorische Gespräche.

Doch was Mahmoud tat, war für das Assad-Regime gefährlicher als jede Waffe. Nach seiner Teilnahme an den Protesten wurde er in seiner Stadt vom Brigadegeneral des syrischen Regimes vorgeladen. Er weigerte sich, hinzugehen. Ein weiser Entschluss. Daraufhin erhielt er Morddrohungen. Doch das war nur der Anfang: Am 15. September 2023 spielte er mit seinen Kindern im Hof, als ein schwarze Kia Forte vorfuhr. In ihm saßen bewaffnete Männer, die das Feuer auf die Familie eröffneten. Anschließend flohen sie. Die Angreifer hatten ihr Ziel noch einmal verfehlt.

Am 10. November wurde sein Auto von einer bewaffneten Gruppe gestoppt, unter ihnen Mitglieder eines regimetreuen Drogenschmugglerrings. Mahmoud hatte keine Chance. Einer der Bewaffneten feuerte mit seiner Waffe auf ihn. Mein Freund war sofort tot. 

Kann es sein, dass die Welt uns nur als Opfer von Konflikten oder Kriegen sieht?”

Nein, das erlaube ich nicht! Mahmoud war mehr als ein Opfer. Er war nicht stumm, er war nicht passiv. Er war laut, frei und mutig. Bis zum Schluss setzte er sich für das syrische Volk ein. Er ist ein Symbol für den Kampf um Freiheit und Gerechtigkeit in Syrien. Auch nach seinem Tod lebt Mahmouds Geschichte in uns allen weiter. Und dieser Welt möchte ich sagen:

Wir sind keine Zahlen! Wir sind keine Opfer! Wir sind Syrer und Syrerinnen, und wir sind die Stimme der Revolution! Hört uns!

Zur Autorin:

Raya Sibeye ist Anwältin, Menschenrechtsaktivistin und leitet eine Organisation in Suweida. Außerdem ist sie Mitglied im politischen Büro einer Jugendbewegung. Aus Sicherheitsgründen schreibt sie unter Pseudonym.

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