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Türkisch-Kurdistan: In den 90er Jahren die Dörfer, jetzt brennen die Wälder


„Nicht einer dieser Brände ist von selbst ausgebrochen", sagt der Abgeordnete der Grünen Linkspartei, Mehmet Zeki Irmez, zur systematischen und vorsätzlichen Brandstiftung durch das türkische Militär in der nordkurdischen Provinz Şirnex.

Während in den 1990er Jahren über 4.000 Dörfer in Nordkurdistan vom türkischen Staat zerstört, die Bevölkerung vertrieben und oft die Häuser in Brand gesetzt wurden, stehen nun die Wälder in Kurdistan in Flammen.

Die Brände in Şirnex

Die Waldgebiete in der Provinz Şirnex (tr. Şırnak) brennen, wie es auch in anderen Regionen Nordkurdistans der Fall ist. Ein Brand, der am 26. Juli in der Nähe des Dorfes Karaca (Sorbitme) in Şirnex ausbrach, vernichtete viele Hektar Waldfläche. Dieser Brand konnte vier Tage lang ungehindert wüten und wurde erst nach acht Tagen vollständig gelöscht. Eine zweite Welle von Bränden begann am 11. August im Gebiet Bêspin (Görümlü). Das Gebiet um das Dorf Bilbês in Elkê (Beytüşşebap) wurde durch Feuer, die im Zusammenhang mit einer Militäroperation ausbrachen, vollständig verwüstet. Die türkische Armee hatte das Gebiet eine Woche lang umstellt und belagert.

Es gibt keine unkontrollierbaren Brände“

Im Gespräch mit ANF äußerte sich der Abgeordnete der Grünen Linkspartei, Mehmet Zeki Irmez, zu den Bränden in der Provinz Şirnex. „Nicht einer dieser Brände ist von selbst ausgebrochen“, betonte Irmez und berichtete, dass alle Brände im Zusammenhang mit Militäroperationen stehen. Das Militär gehe dabei planvoll vor. Die Rede von außer Kontrolle geratenen Bränden entspreche nicht der Realität. Stattdessen seien die Feuer bewusst und kontrolliert, als Teil der Kriegspolitik, zu der auch die massiven Rodungen der Waldgebiete gehört, gelegt worden. „Keines der Feuer in der Region ist spontan entstanden. So etwas hat es bis heute noch nie gegeben. Die Brände werden im Rahmen von Militäroperationen gelegt. Daher gibt es hier keine ‚unkontrollierbaren‘ Brände. Es handelt sich um bewusste, kontrollierte Brände, bei denen Löscharbeiten nicht zugelassen werden. Die Kommunalverwaltung und die örtliche Bevölkerung können in den betroffenen Gebieten nichts unternehmen, da das Betreten verboten ist. Es muss betont werden, dass mit den Bränden auch das Abholzen der Waldgebiete einhergeht. Sowohl in Cûdî, Gabar als auch in Besta finden Brände und Baumfällarbeiten parallel statt. In Besta gibt es sowohl Brände als auch Rodungen bei den Weilern Umyanis (Karamık) und Osiyan (Doğanköy) im Bezirk Xisxêr (Pervari) in der nordkurdischen Provinz Sêrt (Siirt). Diese Gebiete liegen in der Nähe des Herekol. Das Fällen der Bäume erfolgt unter der Aufsicht von Soldaten und Dorfschützern, und der Abtransport der gefällten Bäume aus der Region erfolgt über die Straße nach Sêrt."

Brand durch Bombardierung ausgelöst

Die Brände haben Ausmaße einer großangelegten Umweltzerstörung erreicht. Irmez erklärte, dass die Feuer in der Region in den letzten zwei Wochen durch Militäroperationen ausgelöst wurden. Wenn es keine direkten Operationen gebe, würden die Brände durch Schüsse von militärischen Wachtürmen, Außenposten oder Militärfestungen entfacht. Das Feuer im Waldgebiet um das Dorf Bilbês in Elkê sei durch Bombardierung aus Kampfflugzeugen und Hubschraubern verursacht worden.

Irmez schloss seine Ausführungen mit den Worten: „Das gilt auch für die Gebiete um den Cûdî, in denen die Brände ausgebrochen sind. Selbst Dorfbewohner und Landbesitzer können die Region nicht ohne Erlaubnis der Militärpolizei betreten. Es gibt Dörfer in der Region, die in den 1990er Jahren geräumt wurden. Die Menschen leben dort nicht mehr, aber ihre Weinberge und Gärten sind noch intakt. Sie bewirtschaften diese Flächen. Die Brände erreichen diese Dörfer und die Weinberge der Menschen. Wie groß der Schaden ist, lässt sich erst sagen, wenn die Blockade aufgehoben ist und die Menschen die Region wieder betreten dürfen. Wir haben uns mit der Ökologiebewegung Mesopotamien zusammengetan. Sie haben angekündigt, einen zweimonatigen Aktionsplan gegen die Waldbrände in Şirnex und der Region zu erarbeiten, und wir als Partei haben beschlossen, diesen Plan zu unterstützen. Wir werden nicht schweigen, während unsere Natur durch Brände offen zerstört wird.“

Fünf Brände in Licê

Nicht nur in Şirnex brennen die Wälder. Auch im nordkurdischen Landkreis Licê in der Provinz Amed sind innerhalb eines Monats fünf Brände ausgebrochen und haben hunderte Hektar Waldfläche in Asche verwandelt. Auch hier gibt es einen Zusammenhang zwischen den Bränden und Militäroperationen. Zuletzt vor vier Tagen brachen bei den Dörfern Gom, Entax und Bamitnî im Bezirk Licê Feuer aus. Damit sind drei der fünf Brände dort entstanden. Das Feuer erreichte aufgrund des späten Eingreifens die Häuser und vernichtete zwei. Hunderte Hektar Land wurden zerstört, Tiere verbrannten und die Menschen überlebten das Feuer nur durch Glück.

Die Zeitung Yeni Özgür Politika führte Gespräche mit Anwohner:innen und Vertreter:innen von Umweltorganisationen. Emim Yaylık aus dem Dorf Gom berichtete, dass das Feuer nahe einem Militärstützpunkt ausbrach und das Militär nicht eingriff. Die Menschen versuchten, die Flammen zu löschen, aber aufgrund des Windes breitete sich das Feuer schnell aus. Er erzählte weiter: „Ein großes Gebiet stand in Flammen, und dann kam lediglich ein Feuerwehrauto. Die Feuerwehr blieb eine Stunde lang an der Straße stehen. Nachdem das Feuer auf das Haus und die Weinberge übergegriffen hatte, begannen sie mit der Brandbekämpfung. Obwohl wir wiederholt darum gebeten hatten, wurde das Feuer nicht aus der Luft bekämpft. Ein riesiges Gebiet wurde innerhalb weniger Stunden zu Asche.“

Waldbrände in Nordkurdistan gehen auf Dörfer über | Foto: YÖP

Yaylık erinnerte daran, dass sein Dorf 1994 vom Militär niedergebrannt wurde. Nach 15 Jahren kehrte er zurück, seitdem komme es jedes Jahr zu Waldbränden. Er klagte an: „Jedes Jahr werden diese Wälder niedergebrannt. Dieses Jahr wurden drei Feuer gelegt. Und wenn nicht ausreichend gelöscht wird, wird das Feuer erneut ausbrechen. Obwohl das Feuer wuchs, schaute das Militär nur zu. Es hat nichts unternommen, es kamen auch keine Löschfahrzeuge. Hätte man frühzeitig eingegriffen, hätten diese Bäume und Häuser gerettet werden können. Hätte der Wind sich nicht gedreht, gäbe es jetzt keines der Häuser, in denen wir jetzt leben, mehr."

Murat Bilgiç, Vorstandsmitglied des Ökologievereins Amed, besuchte die von den Bränden betroffenen Regionen und traf sich mit Dorfbewohner:innen. Er sagte, dass etwa alle zwei Tage Nachrichten über Waldbrände in Licê eintreffen. Bilgiç wies darauf hin, dass diese Brände entweder in der Nähe von Militärbasen oder in Operationsgebieten ausbrechen, und kritisierte, dass die Löscharbeiten insbesondere beim letzten Brand viel zu spät eingeleitet wurden.

In ganz Kurdistan müssen die Menschen selbst Löscheinheiten aufbauen“

„Jeden Sommer findet diese Zerstörung durch Waldbrände statt“, so Bilgiç. „Diese Brände brechen entweder in der Nähe von Militärbasen, in Operationsgebieten oder in Gebieten aus, aus denen die Menschen vertrieben werden sollen. Dies zeigt die Qualität der Vertreibungspolitik. Die Natur wird außerdem für den Spezialkrieg benutzt, um die Menschen in Verzweiflung zu stürzen und in die Diaspora zu zwingen. Wir müssen dieses Problem selbst in die Hand nehmen. In ganz Kurdistan müssen die Menschen selbst Löscheinheiten aufbauen. Als Ökologen und Patrioten werden wir unser Bestes tun, um die Natur zu schützen. Wir müssen uns mit allen Mitteln dagegen wehren.“

Weitere Brände in Colêmerg und Mêrdîn

Auch in Mêrdîn-Ertûqi und Colemêrg (Hakkari) brennen Waldgebiete. Das Feuer in der Nähe des Kaval-Wasserfalls beim Dorf Marînûs (Kavaklı) in Colemêrg wütet bereits seit drei Tagen, ohne dass etwas unternommen wurde. Das Feuer erreichte am Vortag das Dorf Çeltik. Daraufhin griff die Feuerwehr teilweise ein. So konnten die Brände in den Dörfern gelöscht werden, aber die Waldgebiete in den Bergen brennen weiter.

 

 

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