Der Lohn des Angriffskrieges Westliches Wunschdenken und türkischer Imperialismus

 


Das OVKS-Mitglied Armenien ist faktisch vom Nato-Staat Türkei indirekt erfolgreich angegriffen und zu einen demütigenden Diktat gezwungen worden - die Länder de postsowjetischen Region werden hieraus ihre Schlussfolgerungen ziehen. Trotz etlicher direkter Angriffe Aserbaidschans und der Türkei auf armenisches Staatsgebiet im Verlauf des Krieges war man in Moskau nicht gewillt, direkt oder indirekt zu intervenieren, um das Kriegsgeschehen zugunsten Armeniens zu wenden.

Die russischen Geschäftsbeziehungen zu Ankara und Baku wogen schwerer als die Vertragsverpflichtungen gegenüber Jerewan. Dieser Ansehensverlust könnte mittelfristig in einem Einflussverlust umschlagen - Ankara hat längst die Turkmenen Zentralasiens im Visier seiner Großmachtpläne.

Schon jetzt wollen die üblichen westlichen Analysten einen russischen Einflussverlust konstatieren. Der diplomatische Coup des Kremls sei Ausdruck eines bloßen "Managements" des russischen Niedergangs in der Region, in dessen Verlauf "Verbündete enttäuscht" und Herausforderer nicht abgeschreckt würden, wie Reuters süffisant berichtete.

Diese westlichen Einschätzungen, bei denen sich Wunschdenken mit Fakten vermischen, machen aber in erster Linie deutlich, wieso im Westen niemand einen Finger rührte, um die Regierung in Ankara - immerhin Nato-Mitglied - bei seinem jüngsten imperialistischen Abenteuer an die Kandare zu nehmen.

Man ließ Ankara gewähren, da sich der türkische Expansionsdrang diesmal nicht gegen die EU-Mitglieder Frankreich oder Griechenland, sondern gegen Russland wendete. Die Reisediplomatie des armenischen Regierungschefs, der sowohl in Brüssel wie in Washington vorstellig wurde, um Unterstützung gegen die Aggression des Nato-Partners Türkei einzufordern, hat außer leeren Worten und Gesten nichts gebracht. Somit ist Erdogans imperialistisches Vabanquespiel, bei dem der Westen gegen Russland ausgespielt werden, ein weiteres Mal aufgegangen.

Das Kalkül des Wesens bei seiner diesbezüglichen Apathie scheint klar: Man hofft, Ankara als einen Rammbock benutzen zu können, um den russischen Einfluss im postsowjetischen Raum zu erodieren - und im Gefolge der türkischen Expansion die Region ökonomisch zu durchdringen. Während man sich in Berlin etwa über den Diktator Lukaschenko in Russlands Hinterhof gerne ausgiebig empört, wird Erdogan bei seinen Kriegen und ethnischen Säuberungen weitgehend freie Hand gelassen. Jüngste Vorstöße Athens, zumindest ein Waffenembargo gegen die Türkei zu verhängen, sind im Oktober von Berlin abgeschmettert worden.

Das neo-osmanische Großmachtstreben der Türkei, bei dem Erdogan Brüssel, Washington und Moskau gegeneinander auszuspielen versucht, macht indes bewusst, wie leicht Imperialismus in Faschismus umschlagen kann. Im Kern geht es Erdogan bei seinen Interventionen im Kaukasus, in Nordsyrien und Irak um ethnische Säuberungen, um die Vertreibung oder Auslöschung von Bevölkerungsgruppen, die von der islamistisch-nationalistischen Staatsideologie der Türkei zu Feindbildern aufgebaut wurden: Armenier, Kurden, Christen, Jesiden.

Dieser zur Staatsräson erhobene türkische Größenwahn ist gewissermaßen anachronistisch, es geht Ankara nicht in erster Linie um bloße ökonomische Renditen, wie bei imperialistischen Interventionen üblich.

Erdogan geht es buchstäblich um die Herstellung eines türkisch-islamistischen Großreichs. Diesem osmanisch-völkischen Wahn stehen aber ganze Bevölkerungsgruppen in der Region im Weg. Es ließe sich somit argumentieren, dass Ankaras Staatsislamisten nicht mehr einer imperialistischen, sondern einer faschistischen Logik folgen. Mit dem Sieg gegen die verhassten Armenier wird der Appetit Erdogans auf weitere Kriege nur noch wachsen.

Die zunehmenden Provokationen der Türkei in Nordsyrien deuten beispielsweise auf einen weiteren Feldzug gegen die Überreste der kurdischen Selbstverwaltung in dieser Region. Der Angriffskrieg Ankaras und Bakus ist ja faktisch mit Gebietsgewinnen belohnt worden - daraus wird man in Ankara die entsprechenden Schlussfolgerungen ziehen. (Tomasz Konicz

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