Angriffe auf Syrer in der Türkei – Vier Tote bei anti-türkischen Protesten in Nordsyrien

 



In Nordsyrien sind die Menschen skeptisch gegenüber der Türkei und fürchten eine Aussöhnung zwischen Assad und Erdogan.
Bei Protesten gegen die Türkei in Nordweswtsyrien wurden mindestens vier Menschen getötet. © IMAGO/Rami Alsayed

Die Angriffe auf Syrer fanden in der vergangenen Nacht auch in anderen Städten außer Kayseri statt. In Syrien hingegen griff man türkische Soldaten und LKW an.

Ankara – Schon in der zweiten Nacht in Folge gab es in der Türkei Angriffe auf Syrer. In der Nacht zum Dienstag wurden auch in mehreren Städten Syrer, ihre Geschäfte und Häuser von wütenden Nationalisten angegriffen. Auf offener Straße wurden mehrere Geflüchtete aus dem Bürgerkriegsland zusammengeschlagen und mit Messern verletzt. Auf X wurden mehrere Videos von blutüberströmten Syrern geteilt, die Opfer der rassistischen Angriffe waren.

Angriffe auf Syrer in der Türkei – Erinnerungen an Massaker von Sivas

Die Bilder erinnern an das Pogrom von Sivas vor 31 Jahren. Am 2. Juli 1993 hatte sich tausende Islamisten und Nationalisten vor dem Hotel Madimak versammelt, in dem sich mehrheitlich alevitische Intellektuelle und Künstler anlässlich eines Kulturfestivals in der zentralanatolischen Stadt versammelt hatten. Der Mob hatte das Hotel zunächst mit Steinen beworfen und später in Brand gesetzt. 35 Menschen wurden dabei vor den Augen von Sicherheitskräften ermordet, die untätig zusahen. Bis heute wurde das Massaker von Sivas nicht aufgearbeitet.

Rassisstische Übergriffe in Türkei führen zu Unruhen in Syrien

Die Übergriffe auf Syrer in der Türkei führen inzwischen zu Unruhen in Nordsyrien, wo das türkische Militär Teile besetzt hält. Dort wurden türkische LKW in Brand gesetzt und auch türkische Soldaten angegriffen. Auch haben die Demonstranten Verwaltungsgebäude angegriffen, die von der Türkei oder mit ihr verbündeten Milizen kontrolliert werden. Mindestens vier Menschen wurden dabei getötet. Die Unzufriedenheit mit der Türkei und ihrem Präsidenten Recep Tayyip Erdogan ist groß.

Doch die Unruhen in den türkisch besetzten Gebieten in Syrien haben auch andere Gründe. „Es gibt zwei Gründe für die Ausschreitungen in Nordsyrien, in Afrin, Jerablus in Idlib. Die Syrer, die jetzt auf die Straße gehen, sind vor allem Syrer, die Erdogan und seine Armee in die Regionen gebracht haben“, sagt Dr. Kamal Sido, Nahostreferent bei der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) im Gespräch mit Fr.de von IPPEN.MEDIA. „Der erste Grund sind die Übergriffe auf die syrischen Flüchtlinge in der Türkei. Die Menschen fühlen sich immer mehr von der türkischen Regierung ausgenutzt. Sie sagen, sie wurden von der Türkei gegen die Kurden und Machthaber Assad benutzt. Und jetzt lässt die Türkei uns im Stich“.

Lage in Nordsyrien spitzt sich zu – Syrer fürchten Versöhnung zwischen Erdogan und Assad

„Der zweite Grund sind Gerüchte, dass Erdogan sich mit Assad treffen und nur noch gegen Kurden gemeinsam kämpfen will. Die Menschen sind verunsichert. Sogar die Islamisten in der Region sind mit Erdogan unzufrieden. Er hat die Islamisten bislang benutzt“, so Sido. Unter den Protestierenden in Nordsyrien habe es bislang vier Tote gegeben, die durch türkische Soldaten und mit ihnen verbündete Milizen erschossen wurden.

Erdogan will sich nicht in „innere Angelegenheit von Syrien“ einmischen

Und die Angst der Syrer in Region ist nicht unbegründet. Sie haben sich gegen Assad aufgelehnt und fürchten nun, dass Erdogan sie fallen lässt. „Wir haben unsere Beziehungen mit Syrien in der Vergangenheit lebendig gehalten. Wir haben uns auch mit unseren Familien getroffen“, sagte Erdogan am Freitag (28. Juni) vor den Kameras. „Wir wollen uns auch keineswegs in die inneren Angelegenheiten Syrien einmischen“, versprach der türkische Präsident.

In der Vergangenheit hatte Erdogan den syrischen Präsidenten allerdings immer wieder als Mörder bezeichnet. Man könne sich nicht mit jemandem aussöhnen, der eine Million Menschen getötet habe. Assad sei zudem ein Terrorist, hatte der mächtige Mann in Ankara zuvor gesagt.

Hetze gegen Syrer in den sozialen Medien

Die Unruhen brachen in Kayseri aus, nach dem ein Syrer ein fünf Jahre altes syrisches Mädchen belästigt haben soll. Der Mann wurde allerdings zuvor von der Polizei festgenommen. In der Vergangenheit wurde immer wieder gegen Flüchtlinge in dem Land gehetzt. Der ehemalige Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu (CHP) versprach im Vorfeld der Türkei-Wahl 2023, rund zehn Millionen illegale Flüchtlinge wieder zurückzuschicken. Und ein Ende der Hetze gegen Syrer in der Türkei ist nicht in Sicht. Mit dem Hashtag #suriyelilersınırdışıedilsin (Deutsch: Syrer ausweisen) werden auf X massenweise Videos türkischer Nationalisten geteilt, die gegen syrische Flüchtlinge in der Türkei scharfmachen.

Die Belästigungen eines kleinen Mädchens durch einen Syrer hatte offenbar nur eine Ventilfunktion. Im April vergangenes Jahres wurde Gina Mercimek, ein syrisches Flüchtlingsmädchen, zunächst vergewaltigt und anschließend ermordet. Die Täter hatte die Leiche des Mädchens dann in eine Wassergrube geworfen. An ihrem Hals hatte der Mann einen Stein angebunden. Die Empörung blieb damals aus. „An diesem Tag gab es weder einen Aufstand der Bürger, noch wurden die Häuser von Syrern niedergebrannt – weil die verhafteten Vergewaltiger und Mörder Türken waren“, schreibt die Journalistin Nur Dogan auf X. (erpe)

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