Gesundheitsversorgung in Şehba wird immer schwieriger
In den fünf Lagern für Binnenflüchtlinge aus Efrîn in der nordsyrischen Region Şehba spitzt sich die Krise in der Gesundheitsversorgung zu. Insbesondere Frauen sind betroffen. 82 Prozent der Frauen können trotz Krankheit keine Ärztin aufsuchen.
Der nordsyrische Kanton Şehba steht unter einem Embargo durch das Assad-Regime und der Türkei. In dem selbstverwalteten Kanton befinden sich etwa 157.000 der 300.000 nach der türkischen Invasion ab 2018 aus Efrîn geflohenen Menschen. Etwa 10.000 von ihnen leben unter schwersten Bedingungen in Lagern.
Der Kanton Şehba grenzt im Süden an das syrische Gouvernement Aleppo.
Die Ursprungsbevölkerung des von Wüsten geprägten Kantons bestand aus
90.000 Menschen. Entsprechend gibt es kaum Infrastruktur. Der Kanton ist
Teil der Autonomen Administration von Nord- und Ostsyrien (AANES) und
erhält praktisch keinerlei internationale Hilfe. Die lokale und
regionale Selbstverwaltung versucht, die isolierte Region mit ihren
eigenen sehr beschränkten Mitteln zu versorgen. Daher sind die
Bedingungen in den Camps für die Vertriebenen besonders schwierig.
Embargo, Angriffe und Erdbeben
Die Geflüchteten in den Lagern Efrîn, Serdem, Şehba, Berxwedan und Veger leben wie die gesamte Bevölkerung von Şehba unter einer feindlich gesinnten Einkreisung durch das Regime in Damaskus und die Türkei bzw. ihren dschihadistischen Proxytruppen. Daher ist die Versorgung der Region mit Brennstoff, Hilfsgütern und Medikamenten schwierig. Das Assad-Regime lässt praktisch nichts durch. Die Erdbebenserie seit dem 6. Februar hat die Lage verschlimmert. Insbesondere Şehba und Aleppo waren betroffen. Viele Gebäude waren bereits durch den Krieg und die Bombardierungen angeschlagen und sind eingestürzt. In Şehba wurde die Situation dadurch verschärft, dass 2.205 aus Efrîn stammende Familien aus Aleppo nach dem Erdbeben in den Camps in Şehba untergebracht werden mussten, da ihnen sonst keine Alternative zum Überleben blieb. Das Regime in Damaskus hat das Embargo gegen die selbstverwalteten Stadtteile Şêxmeqsûd und Eşrefîyê in Aleppo auch nach dem Erdbeben nicht aufgehoben. Das gleiche gilt weiterhin für die Şehba-Region. Nichts wird durchgelassen und die seit fünf Jahren andauernden Angriffe des türkischen Staates auf die Region gehen ununterbrochen weiter.
Umfrage zur Ermittlung der drängendsten Probleme
Die Frauenbewegung Kongra Star hat eine repräsentative Umfrage bei 500 stichprobenartig aus den Lagern ausgewählten Familien gestartet. Geplant war die Befragung von 1.000 Familien, was jedoch aufgrund des Embargos nicht möglich war. Die Erhebung konzentrierte sich auf Frauen und Kinder und untersuchte ihre gesundheitliche und ökonomische Lage und die Bildungschancen der Menschen in den Camps. Fast alle der befragten Frauen leben in Zelten mit fünf oder mehr Personen.
Ökonomische Probleme beeinträchtigen die Gesundheit
Etwa 80 Prozent der befragten Frauen gaben an, dass es in der Umgebung der Lager kaum Arbeitsmöglichkeiten gebe. Dies verschärft die Situation der Frauen besonders, da das Abhängigkeitsverhältnis zu ihren Ehemännern so verstärkt wird. Darüber hinaus wirkt sich die Armut auch negativ auf die Gesundheit der Frauen aus. Der Anteil der Frauen, die trotz Krankheit aus finanziellen Gründen nicht ärztlich versorgt werden, liegt bei 82 Prozent. Die Bedingungen in den Lagern und das Embargo durch das Assad-Regime sind die Hauptgründe für die Verschlechterung der Gesundheitsversorgung. Das Wetter in der Region ist im Sommer sehr heiß und im Winter sehr kalt. Aufgrund des Embargos kann im Winter, wenn überhaupt, nur sehr eingeschränkt geheizt und auch der erforderliche Strom nicht erzeugt werden. Aufgrund der Zerstörungen durch die türkischen Angriffe muss die Region auf Dieselgeneratoren zurückgreifen, die aber aufgrund mangelnden Treibstoffs kaum betrieben werden können.
Der Mangel an Gesundheitseinrichtungen stellt für alle Menschen in Şehba ein ernstes Problem dar. Besonders mangelt es an Einrichtungen, die auf Gynäkologie oder Pädiatrie spezialisiert sind. Frauen müssen für Entbindungen oder Behandlungen in der Schwangerschaft die gefährliche Fahrt nach Aleppo auf sich nehmen. Gleichzeitig fehlt es auch an Einrichtungen für die Ausbildung von Personen, die im Gesundheitswesen auf Frauen und Kinder spezialisiert sind.
Die Lebensbedingungen von Menschen mit Behinderung
Insbesondere Menschen mit speziellen Bedürfnissen leiden unter den Bedingungen in den Lagern. Unter den befragten Familien befinden sich etwa zehn Prozent Menschen mit Behinderungen. Es besteht dringender Bedarf für die Versorgung und Betreuung von Kindern mit Behinderungen. Die fehlende Versorgung setzt die Betroffenen wie auch ihre Familien großem Stress aus.
Mangelnde Privatsphäre und Probleme mit der Hygiene
Die Teilnehmerinnen an der Umfrage gaben an, dass der Mangel an Privatsphäre eines der größten Probleme in ihrem täglichen Leben darstellt. Die Gründe dafür seien, dass die Zelte sehr nahe beieinander stünden und mehr als sechs Personen in einem Zelt lebten. Die Frauen berichten, dass dies eine große psychische Belastung für sie darstelle und oft sogar zu Depressionen führe. Obwohl das Thema Hygiene in der Umfrage gar nicht explizit aufgeführt war, beklagten sich fast alle befragten Frauen über einen solchen Mangel. In den Camps leben viele Menschen auf engstem Raum und nutzen dieselben Toiletten und Waschmöglichkeiten. Hygieneeinrichtungen sind für Frauen während der Menstruation besonders wichtig. Der fehlende Zugang zu sauberem Wasser, die Mangelernährung der Kinder und das Fehlen von Spielmöglichkeiten für die Kinder stellen eine weitere psychische Belastung für Frauen dar.
Viele Frauen beklagen das Gefühl, ihre Kinder unter diesen Bedingungen nicht gut erziehen zu können. Das führe zu einer Zunahme des Stresslevels. Alle Frauen, die an der Umfrage teilnahmen, berichteten, dass sie Schwierigkeiten hätten, ihre Kinder mit ausreichender Nahrung zu versorgen. 80 Prozent der Frauen unterstrichen insbesondere die psychologischen Konsequenzen der Tatsache, dass sie ihre Kinder nicht ordentlich versorgen und ihnen keine Spielzeuge oder Räume zum Spielen geben könnten.
Şehba befindet sich nicht auf Agenda internationaler Organisationen
Menal Mihemed von der Frauenbewegung Kongra Star berichtet über den Hintergrund der Umfrage: „Seit der Invasion der türkischen Armee in Efrîn sind mehr als fünf Jahre vergangen. Die Menschen aus Efrîn waren gezwungen, aus ihrer Heimat zu fliehen, und müssen nun in Lagern in Şehba leben. Trotz der Invasion, der Angriffe und der Vertreibung interessieren sich internationalen Einrichtungen und Institutionen nicht für die Lebensbedingungen der Menschen aus Efrîn in den fünf Lagern und bieten keinerlei Hilfe an. Die Menschen sind auf die Mittel der Selbstverwaltung angewiesen. Eines der wichtigsten Themen in unserer Region ist die Verbesserung der Lebensbedingungen der Geflüchteten. Es geht darum, ihre Rückkehr in ihre Heimatorte zu gewährleisten. Aber das kümmert die internationalen Institutionen, Organisationen und Mächte nicht. Es ist für sie kein Thema. Wir haben diese Umfrage durchgeführt, um den Menschen, die unter dem Embargo und den Angriffen leiden, eine Stimme zu geben, und wir haben so ein klares Bild der Lage erhalten. Die Menschen, insbesondere Frauen und Kinder, kämpfen mit größten Problemen und versuchen, irgendwie zu überleben. Der Schaden, den die gesundheitlichen und ökonomischen Bedingungen insbesondere bei Frauen und Kindern anrichten, ist gewaltig.“
Kaum noch Erwartungen an die internationale Gemeinschaft
Menal Mihemed berichtet, dass Kongra Star schon früher ähnliche Umfragen und Studien durchgeführt hat: „Bei unseren Umfragen geht es nicht nur um die Recherche. Die Ergebnisse werden an Frauenorganisationen und Menschenrechtseinrichtungen im Nahen Osten und in europäischen Ländern weitergeleitet. Außerdem werden bekannte Persönlichkeiten, die sich einsetzen können, mit Informationen versorgt. Für uns ist die Übermittlung der Informationen an die internationalen Mächte keine Frage. Denn sie haben bisher keine konkreten Schritte in Bezug auf die Probleme der Menschen, der Frauen und Kinder, die in den Lagern, insbesondere in Şehba, leben, unternommen. Unser Hauptziel ist es, demokratisch und freiheitlich gesinnte Menschen, diejenigen, die für die Menschenrechte eintreten, zu erreichen. Als Kongra Star sehen wir es als unsere Aufgabe an, den Stimmen unseres Volkes, der Frauen und Kinder, Gehör zu verschaffen.“
Krankheitsprävention nahezu unmöglich
Die Ergebnisse der Umfrage seien in sieben Sprachen veröffentlicht worden, sagt Menal Mihemed und fasst die Ergebnisse mit folgenden Worten zusammen: „Sowohl die Lebensbedingungen in den Lagern als auch das von der Regierung in Damaskus verhängte Embargo tragen zur Verschlechterung der gesundheitlichen Situation bei. Da viele Menschen auf eng begrenztem Raum leben, ist das Risiko der Verbreitung von Infektionskrankheiten hoch und es ist fast unmöglich, dies zu verhindern. Der Mangel an Medikamenten stellt eines der größten Probleme dar. Gegen viele Krankheiten wie Tuberkulose, Herzkrankheiten, Diabetes usw. gibt es in Şehba keine Medikamente. In Notfällen müssen die Menschen nach Aleppo fahren und das Zehnfache für Medikamente bezahlen. Die meisten Menschen können sich das nicht leisten.“
Menal Mihemed warnt, dass sich die Lage für die Hunderttausenden von Binnenflüchtlingen im Falle einer Fortsetzung des Embargos und der Angriffe weiter verschlimmern werde, und appelliert an die internationale Gemeinschaft, die Situation endlich ernst zu nehmen.
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